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"Diese Unglücklichen sind genau wie wir": les poilus - die französischen Soldaten




Französicher Feldpostkarte (Archives départementales de Lille)


"Gestern oder vorgestern hat man uns beim Appell Briefe deutscher Kriegsgefangener vorgelesen. Warum? Weiß ich auch nicht, denn sie sind genauso wie unsere. Das Elend, die verzweifelte Hoffnung auf Frieden, der sagenhafte Stumpfsinn in allem, diese Unglücklichen sind genau wie wir, die Boches (= Deutschen)! Sie sind wie wir und das Elend ist gleich für alle."


(Aus einem Brief des 24Jährigen französischen Soldaten Etienne Tanty, vom 28. Januar 1915.
Nach: Paroles de poilus. Lettres et carnets du front 1914 - 1918. Hg.: Jean - Pierre Gueno, Yves Laplume. Paris: Radio France 1998, S. 112)


Erschöpfte französische Soldaten, 1916 (La Grande Guerre, S. 97)


Le Poilu

"Poilu" (wörtl. "der Behaarte") ist der umgangssprachliche französische Ausdruck für den normalen Soldaten; im Deutschen entspricht ihm das Wort "Landser". Ein französischer Soldat beschreibt in einem Brief , wie sich die "Poilus" wohl selbst gesehen haben:

Selbstporträt des französischen Soldaten:

Was ist ein Poilu?

Ein Poilu ist ein Mann, von dem alle sprechen, das ist der Mann der Wälder, der Höhlen, der wieder wild geworden, es ist der Mann, welchen alle anschauen mit mehr Neugierde als Mitleid, das ist der Mann, der leidet, der stirbt, der dem Tod entgegengeht, der sein Ende nahe weiß und der sich weder beklagt über seine Schmerzen, noch über die Kürze seines Lebens.

Der Poilu ist ein Mann, der während mehrerer Tage in einem mit Wasser, manchmal mit Blut gefüllten Graben verharren muss, in einem Graben, worin der Regen stärker fällt, die Kälte schneidender ist als um die beheizten Kamine herum, in einem Graben, wo der Tag früh und die Nacht spät kommt, ohne dass man sie kürzen kann, ohne die geringste Helligkeit.

Der Poilu ist ein Mann, welcher niemals sauber ist, er ist der Mann, der sich schlafen legt, ohne groß zu wissen worauf, mal auf dem feuchten Stroh, das sich bald in Mist umwandelt oder austrocknet, und wo sich die Läuse breit machen.

Der Poilu ist der Mann, welcher den Tod sieht und vernimmt, der ihm entgegenrennt, den schrecklichen, den Tod ohne Schönheit, den blutrünstigen und schmerzhaften Tod, den Tod unten in einem Loch.

Das ist der Mann, welcher während eines halben Tages, eines Tages, zweier ganzer Tage von je 24 Stunden unbeweglich bleibt, zusammengekauert im Gang eines Hügels der feindlichen Artillerie, welche ihn pulverisieren, ihn ersticken, ihn verrückt machen, ihn enthaupten könnte.

Dies ist der Mann, der dieses grauenvolle Geschehen um sich herum sieht und welcher jeden Tag wartet, jede Sekunde seit mehr als drei Jahren, dass er an der Reihe ist auseinander gerissen zu werden.

Das ist wieder der Mann, um welchen die Kameraden schreien oder weinen oder fallen und der plötzlich sein Blut hervorsprudeln fühlt, als er das Blut seines Freundes zu stillen versucht.

Das ist der Mann, welcher unter sich lauscht, wie geschafft wird in den Eingeweiden der Erde und welcher manchmal damit rechnet, in Stücke gerissen zu werden, nachdem er über 25 Meter hoch gesprengt worden ist.

Der Poilu, das ist der Mann, der 2 oder 3 Tage lang in einem Graben ist, ohne etwas anderes zu essen als Kekse oder Brot, ohne was anderes zu trinken als das unter seinen Füßen geschöpfte Wasser oder den schlechten Alkohol, der ihm die Gedärme schnürt oder ihm das Gehirn einschläfert.

Der Poilu, das ist der, der unentwegt eine Schaufel in der Hand, eine Hacke oder ein Gewehr hält, der sich nur noch langweilt, das eine oder andere, der oft vor Müdigkeit umfällt ohne das eine oder den Stiel des anderen loszulassen.

Der Poilu, das ist der Mann der nicht mehr weiß, was Zivilisation ist, Hygiene, Mitleid, Vernunft, Bequemlichkeit, Liebe. Seine größte Freude wäre, Leid und Tod des Feindes mit anzusehen. Nichts Menschliches bleibt ihm außer dem Gefühl der Freundschaft für die anderen. Obwohl Franzosen, den Poilu kümmert es nicht, er interessiert sich nicht dafür, er sieht ohne Gefühlsregung wie gefallen wird, er sieht sie sterben mit einem trockenen, fast kalten Auge. Wozu sich gehen lassen, da das gleiche Schicksal ihm reserviert ist?

Der Poilu, das ist der Mann, der keine Kriegsauszeichnung besitzt, der aber in Wirklichkeit jeden Tag eine verdient und es wäre zuviel, ihn für jede seiner Heldentaten belohnen zu müssen, so dass man ihm keine einzige verleiht.

Der Poilu ist nicht der Sekretär des Generalstabs, die Verwaltung sieht auf ihn herab mit Verachtung, mit Arroganz, mit Unverschämtheit, mit Missachtung.

Der Poilu ist nicht derjenige mit einem blendenden Kragen auf der Uniformjacke, der an die Muße im Büro fern von den Granaten erinnert und ist nicht derjenige, der in einem Bett schläft, der seine Stiefel drei mal am Tag wachst, der das Besteck vorbereitet, sondern derjenige, dem die Drückeberger vorwerfen voll Schlamm zu sein, seine Hosen befleckt zu haben, mit knopflosen Umhang, mit zerrissenen Lederstiefeln herumzulaufen.

Er ist derjenige, der in den Kasernen immer als letzter kommt, wenn die anderen schon ihre Plätzchen schön ausgesucht haben, er ist zur Unterbringung gezwungen in stinkender Enge, die allen Winden, allen Augen offen ist, ist gezwungen den anderen, all denen, welche die Gewehrkugel nie erreichen wird, das gute Essen, die guten gefüllten Scheunen zu überlassen.

Der Poilu ist der, den alle bewundern und dem alle aus dem Weg gehen, wenn er in den Zug einsteigt, ein Café betritt, ein Restaurant, ein Geschäft, aus Angst, dass seine Gamaschen die Stiefeletten besudeln, dass seine Klamotten die nach dem letzten Schrei geschnittenen Jacken beflecken, dass seine Bewegungen die so hellen Kleider besudeln könnten, dass seine Worte zu roh sind, er ist derjenige, den die Offiziere salutieren lassen, dem man in Krankenhäusern, in den Lagern eine Disziplin verordnet, von der die Bürohengste frei sind.

Der Poilu, das ist jemand, von dem keiner im Hinterland sein richtiges Leben kennt, nicht mal die Journalisten, die ihn hochjubeln, nicht mal die Abgeordneten, die in der 2. Klasse reisen.

Der Poilu, der in Urlaub geht, wenn alle anderen es schon vorher waren, er ist der, der nicht spricht, wenn er seine Familie für sieben Tage sieht, der über alles urteilt und der viel zu erzählen haben wird, wenn der Krieg zu Ende ist.


(Katalog "Le Nord en guerre" S. 19 / 20; Korrespondenz von Gaston Mercier, Archives Departementales du Nord, J 118)


Kanadische Soldaten im Schlamm bei Ypern, November 1917 (La Grande Guerre, S. 43)