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Besuch in Verdun - September 1998 / Juni 1999





Meine Empfindungen beim Ausflug nach Verdun (1998)
Britta (17 J.)

Es ist also nun Mittwoch; der einzige vorgeschriebene Ausflug nach Verdun steht vor der Tür, bei dem sich alles hauptsächlich um den Ersten Weltkrieg drehen soll. Etwas missmutig steigen wir in den Bus, denn eigentlich wäre man doch viel lieber am See [Lac de Madine] geblieben. Nun geht es los. Wir fahren durch ein Waldstück. Es wird uns erklärt, dass die Unebenheiten im Boden von Granaten stammen, die hier überall eingeschlagen sind. Einen Moment lang versuche ich mir diesen Anblick vorzustellen, doch dieser wird nach kurzer Zeit von der lauten Musik im Bus verdrängt. Man unterhält sich wieder über andere Sachen. Nach einiger Zeit halten wir vor einem großen Betonklotz, ein Museum, gefüllt mit Dingen und Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg!

Im Zentrum befindet sich ein nachgebautes Schlachtfeld, tot und kalt. Und wieder versuche ich dieses Bild auf die vorher durchfahrene Landschaft zu übertragen. Kaum zu glauben, dass es damals so aussah, wo heute ein scheinbar friedlicher Wald steht. Doch ich musste es dann glauben, als wir uns ebenfalls im Museum einen Dokumentarfilm über den Ersten Weltkrieg anschauten. Junge kaputte Männer, die wie Roboter von einem Schützengraben zum anderen sprangen, die eine Kugel nach der anderen abfeuerten, die durch Leichenfelder zum nächsten Schlachtfeld zogen, die Menschen sterben sahen und den Tod im eigenen Leibe gespürt hatten. Dieser Film hat mir große Angst gemacht, denn ich glaube, dass die Menschen nicht vernünftiger geworden sind; es wird immer Kriege geben. "Bei einem Krieg gibt es nur Verlierer", dieses Sprichwort beweist sich, als wir einige Zeit darauf vor dem "Gebeinhaus" standen. Die Knochen von unzähligen Menschen, die sinnlos im Krieg ihr Leben ließen, sind in diesem Haus zur ewigen Ruhe gebettet worden. Ein abschreckendes Zeugnis aus der Zeit von 1914 bis 1917.



Vor uns lag nun der Soldatenfriedhof von Verdun; die Sonne schien so friedlich auf das Meer von exakt angeordneten Kreuzen, so dass ich mich nicht entscheiden konnte, wer hier falsch am Platze war: die Kreuze oder die Sonne! Diese schrecklichen Schlachtfelder mit den grausam gewordenen Menschen hatten in meinen Augen keine Sonne verdient! Diesen Menschen, die hier begraben waren, hatte man die Persönlichkeit genommen! Sie gingen an die Front als Soldaten einheitlich; sie starben als Soldaten - einheitlich! Für jeden ein weißes Kreuz und einen kleinen Rosenstock. Das einzige, was diese Gräber unterscheidet, sind die Namen, hinter denen sich ein Mensch mit Ängsten, Freuden, Gefühlen und einem schrecklichen Tod befindet!

Unsere letzte Station war ein Stützpunkt (Fort Douaumont), um den die Franzosen und die Deutschen ständig gekämpft hatten! In mir selbst bemerkte ich auch einen Kampf: Die Abenteuerlust, die ich an diesem Ort gespürt hatte, wollte und will ich mir immer noch nicht eingestehen; ich wollte kein Verständnis dafür haben, dass manche jungen Männer mit demselben Gefühl, der "Abenteuerlust", gerne in den Krieg gezogen sind!

Beim Schreiben dieser Zeilen wurde mir bewusst, dass in jedem Menschen "das Böse" steckt; jeder von uns könnte ein Mörder sein, gleichzeitig steckt auch in jedem die Kraft, "des Bösen" Herr zu werden.


Schülerinnen auf dem Geschützturm des heute grasüberwachsenen Fort Douaumont (Foto: K. Fischer)


Ich wünsche mir, dass, wie beim Fort Douaumont, allmählich Gras über diese schreckliche Zeit wächst; jedoch dürfen wir nicht vergessen, dass in einem Jahrhundert Deutschland zwei Weltkriege mitzuverantworten hat!


Soldatenfriedhof Verdun, Ehrenhalle und Gebeinhaus


René Jacob wurde 1916 in Verdun getötet. Er war der Sohn eines Schmiedes, selbst war er Bäcker in Bussy - en - Oth in l'Yonne. Er hinterließ seine Frau Lucie und drei Kinder, von denen das älteste acht Jahre alt war.

René Jacob 1915:

Wie beschreiben? Welche Worte nehmen? Vorhin haben wir Meaux durchquert, noch starr in der Bewegungslosigkeit und der Ruhe, Meaux mit den in der Marne versenkten schwimmenden Wäschereien und seiner zerstörten Brücke. Dann haben wir die Straße nach Soisson genommen und kletterten den Abhang hoch, welcher uns auf die nördliche Hochebene hochführte. Und dann, plötzlich, wie als wenn ein Theatervorhang sich vor uns öffnen würde, erstreckte sich vor uns das Schlachtfeld. Die deutschen Leichen, hier am Straßenrand, da in den Hohlwegen und den Feldern, die Leichen schwärzlich, grünlich, zersetzt, in der Septembersonne von Fliegenschwärmen umsummt. Menschenleichen mit seltsamen Körperhaltungen, die Knie in die Luft gebeugt oder den Arm gestützt auf die Böschung des Grabens; die Pferdeleichen, schmerzlicher als die Menschenleichen mit den Eingeweiden verteilt auf dem Boden, die Leichen, die man mit Kalk oder Stroh, Erde oder Sand zuschüttet und die man verkohlt oder vergräbt.



Getötete deutsche Soldaten an der Westfront, 1917 (Foto: La Grande Guerre, S. 34)


Ein grauenvoller Geruch, ein Geruch von toten Körpern steigt aus dieser ganzen Fäulnis. Er schnürt uns den Hals, und während vier Stunden lässt er uns nicht los. Im Moment, wo ich diese Zeilen schreibe, spüre ich ihn wieder in der Luft um mich herum, was mein Herz stolpern lässt. Vergeblich versucht der Wind, der in Böen über die Ebene weht, dies alles wegzufegen: er konnte zwar den wirbelnden Rauch vertreiben, welcher von diesen brennenden Haufen emporstieg, aber er konnte nicht den Geruch des Todes vertreiben. "Schlachtfeld" habe ich oben gesagt. Nein, kein Schlachtfeld, aber Fleischerfeld.

Denn die Leichen, das ist nichts. In diesem Moment habe ich schon die Hunderte von Grimassen vergessen und ihre verrenkte Haltung. Aber was ich nie vergessen werde, das ist das Zerstören von Dingen, das ist die schreckliche Schlachtung von Landhäusern, das ist die Plünderung von Häusern ...


(Aus: Paroles de poilus. Lettres et carnets du front 1914 - 1918. Hg.: Jean - Pierre Gueno, Yves Laplume. Paris: Radio France 1998, S. 50f.)