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Exkursion nach Lille und zum Schlachtfeld von Vimy



SeitenanfangLille im Sommer 1999

Vom 3. - 5. Juni 1999 besuchten wir, 19 Schülerinnen und Schüler der Bertolt - Brecht - Schule in Darmstadt, die Stadt Lille in Nordfrankreich. Im Zusammenhang mit unserem fächerübergreifenden Projekt, eine Datenbank mit Feldpostbriefen von im Ersten Weltkrieg gefallenen Darmstädtern zu erarbeiten, wollten wir uns einen Eindruck von Schlachtfeldern dieses Krieges verschaffen und im Staatsarchiv von Lille Dokumente zur deutschen Besetzung Lilles 1914 - 1918 studieren. Am Freitag, dem 4. Juni besuchten wir zunächst das Lycée César Baggio, um mit gleichaltrigen französischen Schülern über das Thema "Erster Weltkrieg" zu sprechen. In dieser Schule, die unsern beruflichen Gymnasien vergleichbar ist, bekam ich einen ersten Eindruck von den französischen Schülern (Mädchen gab es dort kaum) und deren Meinungsbild bezüglich der Deutschen in der Vergangenheit und Gegenwart.


Auf dem Schulhof des Lycée César Baggio in Lille


Nach anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten und Berührungsängsten stellte sich heraus, das die Schüler aus beiden Ländern nur sehr wenig über das jeweilige Nachbarland wussten, und dass das, was sie wussten, sich jeweils nur auf die Sehenswürdigkeiten oder die Gewohnheiten der Bewohner beschränkte. Für mich war überraschend, dass die Franzosen die Berliner Mauer immer noch als Identifikationssymbol für die Deutschen sehen, obwohl diese schon seit 10 Jahren nicht mehr existiert.

Abgesehen davon waren sich die deutschen und die französischen Schüler darüber einig, das eine Wiederholung der Geschichte wie zwischen den Jahren 1914 - 1918 und 1939 - 1945 nie mehr wieder stattfinden dürfe.


Das 1928 errichtete Mahnmal für die Toten des Ersten Weltkriegs im Stadtzentrum von Lille.


Die Äbersetzung der Inschrift lautet:

Den zivilen und soldatischen Bewohnern von Lille hat die Stadt dieses Denkmal gesetzt, um künftige Jahrhunderte an das Heldentum und die Leiden ihrer Kinder zu erinnern, die für den Frieden gestorben sind.


Durch den Besuch und die Besichtigung von mehreren Kriegsdenkmälern und Mahnmälern für gefallene Soldaten des ersten Weltkrieges wurde erst klar wie tief und wie viel die Franzosen von dem Ersten Weltkrieg (La grande guerre) geprägt sind, tiefer als die Deutschen, auch nicht zuletzt weil die deutsche Westfront auf französischem Boden lag und die Anzahl der gefallenen Franzosen sehr hoch war. Die durch Denkmäler, Mahnmäler, durch Museen und originale Kriegsschauplätzen sehr stark am Leben gehaltene Erinnerungen an den ersten Weltkrieg bekam ich das erste Mal in Frankreich zu spüren und, obwohl ich kein Deutscher bin, fiel mir die Konfrontation mit diesen Erinnerungen sehr schwer, nicht zuletzt, weil auch einige Franzosen auf Grund ihrer schlechten Erfahrungen in der Geschichte noch Vorurteile gegenüber denen Menschen haben, die aus Deutschland kommen. (Als ich einen älteren Mann in Lille nach dem Weg fragte und er erfuhr, dass ich aus Deutschland komme, ließ er mich kurzerhand stehen und ging einfach fort.)

Mir schien, dass viele Franzosen völlig unbegründet bei den Deutschen immer noch eine übertriebene Art von Nationalismus und sogar Rassismus sehen. Zwar gibt es in jedem Land ein paar "kranke" Menschen, die doch noch sehr rassistisch und nationalistisch denken, doch die Franzosen müssten einfach begreifen, dass spätestens nach dem zweiten Weltkrieg eine Generation heranreifte, die Rassismus und übertriebenen Nationalismus auf das schärfste verurteilt und bekämpft. Außerdem denken auch viele Franzosen nationalistisch, ja sie haben mehr Rassismus in ihrem Land, als sie den Deutschen vorwerfen.


Eingang der "Archives départementales" in Lille


Am Nachmittag suchten wir mit den Franzosen das Staatsarchiv in Lille auf und mir wurde erst jetzt deutlich, wie sehr die Menschen sowohl auf deutscher als auch auf der französischen Seite von der Propaganda des Krieges geblendet wurden. Beide Parteien versuchten, den jeweiligen Gegner zu dämonisieren, und warben mit dem Heldentod fürs Vaterland und die freiwillige Erfüllung der Pflicht an der Waffe. Ich war sehr überrascht (im negativen Sinne) wie der Krieg verschönert wurde, wie viele sich davon blenden ließen und jämmerlich auf den Schlachtfeldern verendeten. Die zahlreichen Dokumente im Archiv zeigten, dass auf keinen Fall die Rede von Heldentod sein kann, sondern nur vom sinnlosen Abschlachten der gegenseitigen Parteien.


SeitenanfangKilometerlange Tunnel und Schützengräben - Das Schlachtfeld von Vimy


Eine kanadische Studentin führt uns durch die Tunnelanlage, die 1916 von kanadischen Truppen gegraben wurde, um die deutschen Stellungen in Vimy anzugreifen. Das Gelände des ehemaligen Schlachtfelds, heute Museum und Gedenkstätte, wurde nach dem Krieg vom französischen Staat aus Dankbarkeit Kanada geschenkt.


Wie sinnlos der Krieg war, und wie falsch er in den Filmen und auf den Plakaten der Propaganda dargestellt wurde, konnten wir auf den originalen Kriegsschauplätzen mit ihren riesigen Granatenkratern, kilometerlangen Tunneln und ihren Schützengräben sehen, z. B. in Vimy. Die damaligen Gegner - hier waren es deutsche und kanadische Soldaten - lagen bis auf zehn Meter Entfernung einander gegenüber. Insgesamt 5 Schlachten wurden hier, in der Nähe der strategisch wichtigen Stadt Arras geschlagen. Im April und Mai 1917 gelang es den kanadischen Truppen, die durch das Tunnelsystem herangeführt worden waren, die deutschen Stellungen zu nehmen. Im folgenden Jahr eroberten die Deutschen sie wieder zurück, mussten sie aber im August und September 1918 endgültig räumen. Insgesamt starben in diesen Schlachten zwischen zwei- und dreihunderttausend Soldaten auf beiden Seiten.


Erhaltener Schützengraben der "German Frontline" in Vimy


Das Erlebnis, diese Schützengräben und Tunnels anzusehen, vermittelte uns eine Erfahrung, eine Nähe zum Krieg und ein Mitleid für die damaligen Soldaten beider Kriegsparteien wie es kein Geschichtsunterricht oder Buch vermitteln kann, obwohl das Schlachtfeld von Vimy nur einen kleinen Bruchteil dessen vermitteln konnte, was sich zwischen den Jahren von 1914 bis 1918 abgespielt haben muss. Diese Erfahrung hat uns allen gezeigt, dass nie mehr solch ein Krieg stattfinden darf.


Sturmangriff kanadischer Truppen, für den englischen Film "Die Schlacht an der Somme" 1916 nachgestellt. (La Grande Guerre, S. 38/39)


Der anschließende Besuch im Museum "Historial de la Péronne" verdeutlichte noch einmal hervorragend die strategischen Gesichtspunkte des Krieges und die damit verbundenen Denkweisen. Dies war ein gelungener Abschluss jener Exkursion, die uns allen ein Stück der Grausamkeit des Krieges gezeigt hat und ich denke, wir können und müssen daraus lernen, damit die Zukunft nicht wieder so wird.

"Man muss die Vergangenheit kennen um eine Zukunft zu haben."

Meiner Meinung nach sollten solche wichtigen Exkursionen in das Pflichtprogramm des Schulunterrichts aufgenommen werden.

Tarik S.


Denkmal für die über 30.000 in Vimy gefallenen kanadischen Soldaten