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Klicken, um Vergrößerung zu betrachten Abfüllen und Verpacken in einer Halle der Fa. Merck, 1886 - Foto: Merck-Archiv

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Katarina Old, von der Arbeiterin zur Angestellten


Bericht über meine 25 jährige Tätigkeit i. Hause E. Merck (1912-1937)


Es ist mir alles noch so frisch in Erinnerung, dass ich es gar nicht fassen kann, dass eine so lange Zeit verstrichen ist, seit damals mein lb. Vater nach Hause kam und sagte: " Hör mal, morgen kannst du " drüben " anfangen, sollst dich aber erst vorstellen und zwar bei Herrn Müller, dem damaligen Vorstand der Mädchenzentrale. Wenn ich ehrlich sein soll, so muss ich sagen, dass meine Freude darüber nicht sehr gross war. Ich wäre viel lieber zur Abteilung Propaganda gegangen, wo mein Vater bereits angefragt hatte. Doch leider war gerade dort kein Platz frei. Zu der damaligen Zeit war es nämlich keine grosse Ehre als "Fabrikarbeiterin" zu gehen. In der Schule bekamen wir immer gesagt: „Ihr Mädchen, geht ja in keine Fabrik". Die Jugend von heute hat es besser. Jede Arbeit wird geachtet, und das ist auch richtig.- Doch Vater und Mutter sagten: „Gehe du: nur ruhig hin, überall kann man. ordentlich sein. Wo dein Grossvater und Urgrossvater beide über 25 Jahre gearbeitet haben und dein Vater jetzt ist, kannst auch du sein und etwas verdienen.“ So kam ich denn am 5. Dez. 1912 zur Firma. Zuerst musste ich mich ja an die vielen Menschen gewöhnen. Da ich von Natur ein wenig schüchtern, und den Ton, der dort herrschte nicht ge­wöhnt war, fiel es mir nicht ganz leicht mich einzuleben. Doch gar bald gewann ich Freude an der Arbeit. Je grösser die Einteilung war, die ich zur Erledigung bekam, je lieber war es mir, zumal, wenn ich allein daran arbeiten durfte. Am allerliebsten hatte ich die Aufträge über 1000 x 1 gr. Cocain. Das waren zu nette kleine Gläschen. Diese zu­zubinden, zu siegeln, etikettieren und Schutzmarken aufzukleben, da­nach einzuwickeln und in Päckchen an 10 Gl. zu packen, war ein wahrer Spass. Nur von den grossen Gläsern, besonders, wenn sie mit Wappen­etiketten versehen wurden, wollte ich nichts wissen. Die verflixten Etiketten blieben auch gar zu gerne in der Etikettiermaschine hängen. Das ärgerte mich. Auch waren die Aufsichtsdamen nicht gerade erfreut darüber, wenn man neue anforderte. Am meisten hatten wir aber Angst, wenn Herr Geh. Rat Dr. E. A. Merck durch die Zentrale ging, denn seinen scharfen Augen entging nichts. Doch wenn er mit uns lächelte, waren wir beglückt für eine ganze Woche.

So verging die Zeit und wir beikamen einen neuen Abtlg. Leiter, Herrn Schütze. Er war streng, doch gerecht, das war mir ganz lieb so. Dauernd war er damit beschäftigt Verbesserungen zu treffen. Besonders interessierte er sich für Maschi­nen zum Abfüllen der Tabletten. Das hatte zur Folge, dass ein sogenannter Tablettenraum hergerichtet wurde, wo nur unsere Spezialitäten abgefüllt und zum Versand fertig gemacht wurden. Auch ich wurde hier her versetzt. Das gefiel mir sehr gut. Wir bekamen alle weisse Schürzen und Häubchen, das sah sehr schön aus. Es war überhaupt ein sauberes Arbeiten. Es dauerte nicht lange, so kam Herr Schütze auf den Gedanken auszuprobieren, wieviel Zeit man für eine gewisse Arbeit brauchte. Er gab einer Kollegin und mir den Auftrag 1000 Röhrchen Stypticintabletten abzufüllen und ganz fertig zu machen und genau aufzuschreiben wann wir anfingen und wann die Arbeit beendet wäre. Das Resultat war: 10 Stunden. Für die damalige Zeit eine Leistung. Vorher hätte man beinahe 8 Tage dazu gebraucht. Wie freute ich mich, als er sich lobend darüber aus sprach.

Gerade zu dieser Zeit war es, dass meine Eltern beide krank wurden und ins Krankenhaus kamen. Mit dankbarem Herzen denke ich daran, wie sich die Fa. in grosszügiger Weise sich mir und meiner Geschwister annahm, indem sie mir erlaubte während der Dauer der Krankheit zu Hause zu bleiben, ohne jeglichen Lohnausfall.

Soweit war alles schön und gut. Da kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel der Krieg. Wir waren vielleicht noch zu jung um die ganze Schwere dieses Ereignisses zu begreifen. Und doch lag es wie ein Alpdruck auf uns allen. Jetzt setzte eine fieberhafte Tätigkeit ein. Ein Lazarettzug nach dem anderen wurde zusammengestellt. Die Sanitätsdepots schossen nur so aus der Erde. Sogar Sonntags musste gearbeitet werden. Aber ein jeder tat es gern, galt es doch unseren Soldaten damit Hilfe zu senden. Auf einmal war so gut wie gar nichts mehr zu tun. Doch die Firma hat keinen einzigen entlassen. In den Magazinen wurde auf Vorrat gearbeitet. Wir Mädchen bekamen Wolle und strickten Strümpfe, Ohren- und Knie-Schützer und allerlei solche Sächelchen fürs Militär. Dabei sangen wir Lieder, dass es nur so schallte. In dieser Zeit kam die Firma auf eine feine Idee. Alle. Mädchen die Lust hatten die Fortbildungsschule für 1/2 Jahr zu besuchen, konnten dies auf Kosten der Firma tun. Doch nicht allein das, sie übernahm auch noch die Kosten für das Mittagessen und wir bekamen die Hälfte unseres Lohnes. Das war fein. Ich brauche wohl nicht besonders zu erwähnen, dass ich da bei den ersten war, die sich gemeldet haben. Denn etwas Neues zu lernen war von jeher mein Fall. Jedenfalls sage ich heute noch dafür herzl. Dank.

Nicht lange nachdem ich wieder auf meiner alten Arbeitsstätte war kam eines Tages Herr Schütze zu mir und frug: „Hätten Sie Lust aufs Kontor zu gehen, oben brauchen sie Hilfe.“ Vor lauter Freude konnte ich gar nicht gleich antworten. Was ich mir immer ersehnt und doch in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet hätte, sollte 'Wirklichkeit werden ? Er erklärte mir ja gleich, dass es nur für halbe Tage und nur solange der Krieg noch währen würde sei. Dann käme es auch darauf an, ob ich mich bewähren würde. Aber dies alles tat meiner Freude keinen Abbruch. Gleich nach dem Frühstück ging er mit mir in die Deutsche Abteilung und stellte mich dort Herrn Wucherpfennig als " die kleine Old“ vor Dieses geschah im Jahre 1916 . Nun begann ein ganz neuer Abschnitt meines Lebens. 0, mit welchem Eifer stürzte ich mich in die neue Arbeit. Es war Wohl das Geringste was ich tun konnte - Aufträge in das sogenannte „Sheetregister " eintragen. Doch es dünkte mir gross genug, um auch dieses wichtig zu nehmen. Dann waren auch alle Leute dort so nett zu mir. Und wenn ich gar ein Lob von Herrn Wucherpfennig erhielt, war ich wunschlos glücklich. Ich glaube, wenn alle "Chefs" wüssten, was manchesmal ein Lob oder gar eine kleine Belohnung ausmacht, sie würden bestimmt nicht so sparsam damit sein. Ich weiss nicht, ob ich es sagen darf, aber ich hielt es immer für meine Pflicht die mir übertragene Arbeit so auszuführen, als ob ich dieselbe für mich selbst leisten würde. Bald durfte ich ganze Tage im Kontor sein und bekam nach und nach anderes zu tun. Ich durfte nach Vorräten fragen, allerlei Gänge ins Magazin machen uind lernte dadurch vieles kennen. Jetzt erst kam mir zum Bewusstsein, welch grosser Vorteil die 4 ersten Jahre für mich waren. Ich kannte unsere sämtlichen Spezialitäten, wusste in welchem Magazin sie zu finden waren und die lateinischen Namen unserer Chemikalien - wenn auch nicht aller - fielen mir nicht besonders schwer. - In der Zwischenzeit lernte ich Stenographie und Schreibmaschine und so kam es, dass ich im Jahre 1917 als erste weibliche Kraft vom Arbeiter ins Angestelltenverhältnis aufrückte. Das war ein Freudentag für mich und meine Eltern. Doch nun kamen auch meine ersten grösseren Enttäuschungen. Ich lernte die Menschen kennen. Die von "unten" wollten nichts mehr von mir wissen und die von "oben" wollten mich nicht als gleichberechtigt anerkennen. Es war wirklich nicht leicht. Doch auch diese Zeit ging vorüber. Die Hauptsache war mir, mein Vorgesetzter blieb mit mir zufrieden. Ich bekam ein schönes Arbeitsfeld und durfte für Herrn Goes und nachher Herrn Hammer, die damals die J-G - Firmen bearbeiteten, schreiben. Das war eine herrliche Zeit. So blieb es eine Reihe von Jahren nur mit dem Unterschied,' dass die Herren, für die ich schrieb:, wechselten. Inzwischen siedelten wir ins neue Kontor über . Doch weshalb ich im Jahre 1923 zum Rechnungschreiben kam, weiss ich heute noch nicht. Zuerst war es mir sehr schmerzlich Ich musste mich vor allem ganz umstellen . Der Gebrauch der "Fisher­Maschine" war mir auch neu. Wer sie kennt, weiss was das .auf sich hat. Man nannte den Raum, wo ich mich befand, nur die M.G.A. - Maschinen-Gewehr-Abteilungr. Aber es lernt sich ja alles im Leben. So gewann ich auch das Rechnungschreiben lieb. Ich hatte meinen bestimmten Posten und konnte so ziemlich selbstständig arbeiten. Man lernte hier die einzelnen Kunden besser kennen, wie bei der Korrespondenz. Dann herrschte in unserem Raum ein sehr kameradschaftlicher Geist, der das Arbeiten lieb und wert machte. Nur eines gefiel mir nicht. Wir wurden von den anderen Abteilungen immer etwas verächtlich angeschaut . Das liess von dem Zeitpunkt ein wenig nach, als im Jahre 1926 Herr Becherer die Oberaufsicht übertragen bekam und die Rechnungs-Abteilung gründete. Es war alles prima organisiert und ich glaube sagen zu dürfen, dass Erspriessliches geleistet wurde. So reihte sich ein Jahr an das andere . Ich bekam nach und nach immer kompliziertere Posten, bis ich sie alle durchlaufen hatte. Die Arbeit wurde immer mehr, die Rechnungsabteilung wurde immer grösser. Viele junge Leute habe ich in der Zwischenzeit angelernt: und es machte mir viele Freude, wenn sie sich als brauchbar erwiesen. Im Jahre 1932 kam ich zur Rechnungs-Kontrolle, wo ich mich auch jetzt noch befinde. Im Anfang war ich ein wenig ängstlich, dass mal ein " Schnitzer " unterlaufen würde; denn was einmal von uns weg ist, ist fort! Doch mit der Zeit wird man auch hierin sicherer. Womit ich aber nicht gesagt haben will, dass gar nichts passieren kann. Schön ist es einen Beruf zu haben und an einem so grossen, schönen `Werk mitwirken zu können, sei es auch. nur als winziges, ganz unbedeutendes Rädchen.

Ich hoffe und wünsche, dass ich auch weiterhin der Firma gegenüber meine Pflicht treu erfüllen kann.


Katharina Old

(Text: Merck-Archiv, Jubilarsberichte)