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3. Organisation des Mangels: Von der Lebensmittelkarte zur Währungsreform1. Lebensmittelnot in Stadt und Land Plakat mit Aufruf des Großhessischen Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft an die Bauernschaft zur Unterstützung der "Städter" [1946] (StA Darmstadt, R 2 Nr. 585) Während die Lebensmittellage auf dem Lande im allgemeinen als durchaus zufriedenstellend gelten konnte, war sie in den meisten größeren Orten, Gemeinden und Städten katastrophal. Daher wurde an der bereits mit Kriegsbeginn eingeführten Zwangsbewirtschaftung der Lebensmittel festgehalten. Zur Vermeidung von Ernteverlusten griff man zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Schulkinder suchten beispielsweise die Kartoffelstauden nach Kartoffelkäfern ab und erhielten hierfür Lebensmittelkarten. So rief Bürgermeister Steinmetz in Dieburg am 26. Juni 1945 dazu auf, dass die Schulkinder jeden Dienstag Kartoffelkäfer und jeden Donnerstag Heilkräuter sammeln sollten. Für den kommenden Donnerstag werden Schafgarbenblüten, Spitzwegerich und Schachtelhalme abgeliefert. Die sich von der Arbeit drücken, erhalten bei der nächsten Verteilung keine Lebensmittelkarten. Von der Kartoffelernte waren 50% der Hessen-Nassauischen Saatstelle und die restliche Menge nach Abzug der eigenen Pflanzkartoffeln der Kreisstelle Dieburg der Landwirtschaftskammer für Hessen-Nassau in Groß-Umstadt anzumelden. Auch auf dem Land war aber die Versorgung vor allem der Schulkinder nicht ausreichend. In einem Antrag vom 18.7. 1947 begründet der Bürgermeister von Groß-Bieberau, wie nötig die Weiterführung der Schulspeisung sei: 25 Kinder müssen wöchentlich nach der zweiten Lehrstunde wegen Schwäche nach Hause gebracht werden. Die Schüler des Realgymnasiums kommen zu 2/3 von auswärts und müssen teils bereits um 5,30 Uhr von zu Hause fort. Auch bei dieser Schule mußten die letzte Woche 2 Kinder in ärztliche Behandlung gegeben werden, weil dieselben ohnmächtig zusammenbrachen. In sogenannten Hofbegehungen wurde das vorhandene Schlachtvieh peinlichst genau erfasst. Die Ablieferung des benötigten Viehs wurde dann jeweils direkt angeordnet. Privatschlachtungen mussten nach wie vor angemeldet und durch amtliche Fleischwieger überwacht werden. Um das System der "Selbstversorgung", das "Schrotteln", "Fuggern" und "Hamstern" nicht überhand nehmen zu lassen, bemühte man sich, einen Überblick über die landwirtschaftliche Produktion zu behalten und die Versorgung in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken. Amtliche Fleischwieger in Goß-Bieberau (Foto StadtA Groß-Bieberau) 2. Organisation des Mangels Sämtliche landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Genussmittel unterlagen nach wie vor der öffentlichen Bewirtschaftung. Es durfte nur im Rahmen des Karten- und Bezugsscheinwesens darüber verfügt werden. Die Lebensmittelversorgung vollzog sich nach dem Plan des Landesernährungsamtes Hessen in Frankfurt a.M., das für ganz Starkenburg zuständig war. Das örtliche Ernährungsamt erfasste die Bevölkerung in Dateien und regelte für jede Zuteilungsperiode die Austeilung der Lebensmittelkarten. Man kannte nach Alter und Lebensverhältnissen verschiedene Versorgungskategorien, denen unterschiedliche, in Kalorien bemessene Lebensmittelmengen zustanden. Lebensmittelkarten für verschiedene Altersgruppen (StA Darmstadt R 12 Nr. C 2) War die Nahrungsmittelversorgung durch die Beibehaltung des in den Kriegsjahren "erprobten" Bezugskartensystems einigermaßen sichergestellt, so lag die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs um so mehr im Argen. Als Nebenerscheinung der Rationalisierung und Preisregulierung etablierte sich eine illegale Nebenwirtschaft, der sogenannte "Schwarzmarkt", auf dem gegen überhöhte Preise nahezu alle gesuchten Waren und Lebensmittel besorgt werden konnten. 3. Rückkehr zum Alltag Auch im Vereinsleben machten sich nahezu unmittelbar nach Kriegsende Neuansätze bemerkbar, die sich unter anderem in der Wiederbelebung der während der nationalsozialistischen Herrschaft zwangsweise verbotenen Turn- und Sport-, Gesangs-, Musik- und sonstigen Vereine niederschlugen. Die in den Kriegsjahren zunehmend des Feierns entwöhnten Menschen nahmen trotz materieller Einschränkungen dankbar jede sich bietende Art von Volksfesten, Kirchweihen und "Kerwen" wahr. Im ländlichen Raum setzte dies früher ein als in den häufig eine Trümmerlandschaft darstellenden Städten. Mit der am 20. Juni 1948 erfolgten Währungsumstellung von der alten Reichsmark auf die neue D-Mark kam es zum offiziellen Startschuss des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs. Plötzlich gab es über Nacht wieder Dinge zu kaufen, die man tags zuvor noch vergebens in den Geschäftsauslagen gesucht hatte. Auch in den Haushaltsplänen der Kommunen und Kreise fand der beginnende Wiederaufbau seinen Niederschlag. Bürger bei der Auszahlung der Kopfquote von Bargeld in Groß-Umstadt (Skizze von H. Pfeil) |
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Dokumentenliste
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