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Nachkriegszeit 1945 - 1949Dokumente zu Besatzungszeit und politischem Neubeginn im heutigen Landkreis Darmstadt-Dieburg.Diese Dokumentation geht auf eine Ausstellung zurück, die 1996 im Auftrage des Landkreises Darmstadt-Dieburg durch das Hessische Staatsarchiv Darmstadt zusammengestellt wurde. Anlass war der 50. Jahrestag der 1. Sitzung des am 28. April 1946 neu gewählten Kreistages des damaligen Landkreises Darmstadt. "'Wähler, tut eure Pflicht!' - Der Neubeginn des politischen Lebens nach 1945 im Landkreis Darmstadt-Dieburg" war der Titel der Wanderausstellung, deren Erarbeitung Dieter Degreif und Thomas Lange übernommen hatten. Für diese online-Version wurde die Dokumentation neu bearbeitet und gekürzt. 1. Einleitung "'Wähler, tut eure Pflicht!' - Der Neubeginn des politischen Lebens nach 1945 im Landkreis Darmstadt-Dieburg" war der Titel der Wanderausstellung, die 1996 im Auftrage des Landkreises Darmstadt-Dieburg durch das Hessische Staatsarchiv Darmstadt zusammengestellt wurde. (Erarbeitung: Dieter Degreif und Thomas Lange) Anlass war der 50. Jahrestag der ersten Sitzung des am 28. April 1946 neu gewählten Kreistages des damaligen Landkreises Darmstadt. Gleichzeitig wurde eine gedruckte Dokumentation vorgelegt, die mittlerweile vergriffen ist. - Die online-Version ist eine gekürzte Bearbeitung von Ausstellung und Dokumentation. Die "Stunde Null" - nach wie vor die geläufigste Bezeichnung für die Jahre zwischen Kriegsende und Währungsreform - wird in den Erinnerungen vieler Deutscher mit Hunger, Wohnungsnot, Schwarzmarkt, Stromsperren und Arbeitslosigkeit verbunden; "Fragebogen" und "Spruchkammern" kommen als politische Begriffe noch dazu. Dass die politische Weichenstellung zur Demokratie von außen kam, ist in den Hintergrund des Gedächtnisses gerückt. Dabei war in den vierziger Jahren noch gar nicht abzusehen, dass die demokratische Staatsform in Deutschland erfolgreich sein würde; schließlich war sie Anfang der dreißiger Jahre schon einmal gescheitert. Wie viel vom Denken vor dem "Zusammenbruch" - wie man bezeichnenderweise statt "Niederlage" oder "Befreiung" sagte - lebte noch fort? Proklamation Nr. 1 des Obersten Befehlshabers der Alliierten Streitkräfte, Plakat, 1945 (StA Darmstadt R 2 Nr. 555) [Druckversion] Drei Grunderfahrungen scheinen die Menschen in diesen Jahren geprägt zu haben:
2. Aufbruch Unmittelbar nach dem Einmarsch der Amerikaner wurden in vielen Städten zur Lösung drängender Tagesaufgaben spontan "antifaschistische Ausschüsse" gebildet, die zahlenmäßig von Kommunisten dominiert wurden. Wegen dieser politischen Zusammensetzung wurden viele dieser Ausschüsse von der amerikanischen Besatzungsmacht bald aufgelöst oder verboten, während antinazistische Bürgerkomitees, in denen sich eher Oppositionelle aus bürgerlichen Kreisen versammelten, als beratende Gremien geduldet wurden. Gleich im Sommer 1945 begannen sich auch vielfach, trotz des zunächst noch bestehenden Verbots, Anhänger früherer politischer Parteien zu treffen. Im August wurden dann auf Kreisebene, Ende des Jahres auf Landesebene politische Parteien offiziell zugelassen. SPD und KPD konnten an Organisation und Mitgliedschaft vor 1933 anknüpfen; Versuche, zu einer einheitlichen sozialistischen Partei zu kommen, kamen über lose Kontakte nicht hinaus und wurden insbesondere nach der in der sowjetischen Besatzungszone erzwungenen Vereinigung der KPD mit der SPD zur SED in den Westzonen von der SPD rigoros abgelehnt. Bürger in Groß-Umstadt lesen 1945 die Proklamation Nr. 1 von General Eisenhower - Gemälde von Hartmut Pfeil. - Der Darmstädter Werbegraphiker und Zeichner (1893-1962) war nach dem Bombenangriff auf Darmstadt 1944-1949 nach Groß-Umstadt evakuiert worden und hielt dort eine Reihe von Alltagssituationen mit Pinsel und Stift fest. Als ein Aufbruch, als Freiheit, endlich politische Ideen zu realisieren, die in der Nazizeit unterdrückt worden waren, so musste die Zeit nach dem März 1945 Menschen erscheinen wie dem in der NS-Zeit unter Polizeiaufsicht gestellten Kommunisten Heinrich Huxhorn in Pfungstadt. Huxhorn schildert in seinen Lebenserinnerungen, wie er und seine Freunde am 1. Mai 1945 mit roten Fahnentüchern in Pfungstadt eine sozialistische Zukunft ankündigen wollten, eine Demonstration, die freilich zwei Stunden später von der amerikanischen Besatzungsmacht beendet wurde. Sozialistische Gesellschaftsvorstellungen waren aber auch SPD und früher CDU in Hessen nicht fremd. Spuren sind in einigen Artikeln der Hessischen Verfassung von 1946 noch erhalten, in denen festgeschrieben wurde: das Recht auf Arbeit (Art. 28), Schutz vor Ausbeutung (Art. 38), Verstaatlichung der Montanindustrie (Art. 41), Enteignung von Großgrundbesitz (Art. 42), Förderung des Genossenschaftswesens (Art. 44). Diese politisch engagierten Menschen, die vor 1933 demokratischen Parteien angehört hatten, wussten auch, dass ihre Mitbürger bei den Reichstagswahlen 1932 zu 46% (Darmstadt-Land) oder 52% (Dieburg-Süd) für die NSDAP gestimmt hatten. Daher erschien ihnen die Erziehung des Volkes zu demokratischem Handeln politisch existenznotwendig. So steht es in den Dieburger Leitsätzen der CDU, die auch von dem der Zentrumspartei angehörende Verwaltungssekretär Ludwig Steinmetz unterschrieben wurden. Er wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht im Frühjahr 1945 aus dem Garten weg als Bürgermeister von Dieburg verpflichtet und blieb dies 30 Jahre lang. Ganz ähnlich sah dies auch der Sozialdemokrat Georg Wink, der von den Nazis 1933 aus dem Polizeidienst entlassen worden war; im April 1945 wurde er von den Amerikanern als Landrat im Landkreis Darmstadt eingesetzt und blieb dies bis 1963. 3. Gegenwärtige Vergangenheit Gesetz Nr. 5 der Militärregierung über die Auflösung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei mit einer Auflistung von über 50 aufzulösenden NS-Organisationen (StA Darmstadt R 2 Nr. 560). Hier wird deutlich, welche Lebensbereiche von der Partei beeinflusst und kontrolliert worden waren. Während die Gegenwart in fast jedem Bereich von der Sorge ums nackte Überleben gekennzeichnet war, sollten und wollten die Menschen sich gleichzeitig von ihrer Vergangenheit lösen. Vergangenheit, das waren sowohl das rassistische Nazi-Gedankengut wie die überlebenden Funktionäre der Partei. Mit Verboten, Entlassungen und Internierungen versuchte die Besatzungsmacht, diese Reste des Nazismus zu beseitigen. Wie nötig das war, zeigt sich z.B. im Januar 1946, als in Groß-Umstadt Hakenkreuzschmierereien auf der Straße gefunden wurden. Die während des "Dritten Reiches" in leitenden Positionen befindlichen Parteifunktionäre und Beamten wurden von der Besatzungsmacht abgelöst und interniert (das zentrale Lager für die US-Zone war in Darmstadt mit zeitweise 28.000 Inhaftierten belegt), außerdem sollte aufgrund des für die gesamte amerikanische Besatzungszone erlassenen "Gesetzes für die Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus" (5. März 1946) die gesamte Bevölkerung mittels Fragebogen und Spruchkammern "entnazifiziert" werden. In Hessen waren davon 900.000 Menschen betroffen, bis Herbst 1948 wurden 168.234 Verfahren abgewickelt. Zum Neuaufbau freiheitlicher Kultur und demokratischen Bewusstseins gehörten im kulturellen Bereich Amerikahäuser in den größeren Städten (das erste 1946 in Frankfurt am Main eingerichtet), im politischen eine von den Besatzungsbehörden lizenzierte Presse (als erste in Deutschland erschien im August 1945 die "Frankfurter Rundschau", bis November 1945 weitere Tageszeitungen in allen größeren Städten Hessens; am 21. November 1945 erschien die erste Ausgabe des "Darmstädter Echo"). Daneben wurde "Radio Frankfurt" eingerichtet, das am 2. Oktober 1948 als "Hessischer Rundfunk" in deutsche Hände überging. Umerziehung und Aufklärung waren das Ziel der Amerikaner. Der US-Film "Die Todesmühlen" sollte die Deutschen über Verbrechen in KZs aufklären. Im März 1946 berichtete der Bürgermeister von Groß-Umstadt, dass fünf Vorstellungen des Films durchschnittlich gut besucht waren. Vor deutschen Gerichten fanden seit 1946 Prozesse gegen die Ausführenden des Judenpogroms vom November 1938 statt, aber reuige Angeklagte gab es kaum. "Vergangenheit", das war nicht nur die Terrorherrschaft, sondern auch die Eroberungskriege des NS-Regimes. Deren Folgen schlugen noch lange ins Ursprungsland zurück. Millionen Menschen hatten zu leiden: in jedem Ort klagte man über tote, vermisste oder kriegsgefangene Männer; in jedes Dorf waren Evakuierte aus den kriegszerstörten Städten eingewiesen worden, und während jene wieder zurückwanderten, kamen Tausende von Vertriebenen aus den besetzten östlichen Gebieten Deutschlands neu hinzu. In Zahlen, bezogen auf das heutige, am 19. September 1945 neu gegründete Land Hessen: Ca. 250.000 Hessen waren Opfer des Krieges geworden, aber 944.336 Menschen neu in das Gebiet zugezogen, das 1949 insgesamt ca. 3,9 Millionen Einwohner hatte. Im Jahr 1946 waren allein 401.856 Flüchtlinge und Vertriebene nach Hessen gekommen. Im gleichen Jahr lebten in UNRRA-Lagern in Hessen noch 30.000 ehemalige ausländische Zwangsarbeiter und zusätzlich etwa ebenso viele jüdische Überlebende der KZ und Vernichtungslager in Osteuropa. Während die beiden letztgenannten Gruppen nach und nach das Land in Richtung ihrer früheren Heimat bzw. Palästina, USA oder in andere Auswanderungsländer verließen, dauerte der Zustrom an Vertriebenen noch an und wurde durch Flüchtlinge aus der sowjetischen Zone verstärkt. 1950 lebten 652.298 Flüchtlinge und Vertriebene in Hessen, davon 396.348 aus der Tschechoslowakei. Dazu kamen 48.137 Zuwanderer aus der sowjetischen Besatzungszone, 29.814 Ausländer (DP) und 214.037 Evakuierte aus anderen deutschen Ländern und Zonen, so dass der Anteil all dieser Zuwanderer an der hessischen Bevölkerung 22% betrug. Nur wenige mussten jetzt noch in Lagern leben. Überwiegend wurden sie wegen der starken Zerstörung der mittleren und großen Städte auf dem Land untergebracht, wo es gelang - ab 1950 mit Hilfe des "Hessenplans" - die meisten auch beruflich, vor allem in mittelständischer Industrie zu integrieren. Diese über 600.000 Vertriebenen, die nach Hessen geleitet wurden, waren Anstoß für eine nie da gewesene soziale Umschichtung: Im Landkreis Dieburg stellten sie bald 13%, im Landkreis Darmstadt 14% der Bevölkerung. Jahrhundertealte Zustände kamen in Bewegung: so stieg im Landkreis Darmstadt der Anteil der Katholiken um das Sechsfache. Die Vertriebenen brachten neue Gewerbe mit, nahmen in anderen den Platz der "draußen" gebliebenen ein und stellten auch das Potential für die Arbeitskräftenachfrage in der expandierenden Wirtschaft der 50er Jahre. Die 29 jüdischen DP-Lager in Hessen, in denen ca. 30.000 Überlebende des Holocaust untergebracht waren - in Südhessen: Bensheim, Dieburg, Babenhausen, Lampertheim, Lindenfels - gehören ebenfalls zu den Ereignissen, die in dem "Gedächtnisloch" der Stunde Null verschwanden. Sie sind erst in den letzten Jahren wiederentdeckt worden. Die Lokalgeschichtsschreibung hat sie lange vergessen; ja selbst zu ihrer Zeit kamen sie in Tageszeitungen z.B. so gut wie gar nicht vor, obwohl amtliche Berichte über zahlreiche Konflikte zwischen ihren Bewohnern und den Einwohnern der Gemeinden belegen, dass natürlich Kontakte bestanden, - überwiegend allerdings keine freundlichen. Es fällt auf, dass für diese Opfer deutscher Politik keine Aufrufe zu Spenden und Sammlungen überliefert sind, sondern Ermahnungen der Bürgermeister wie die des Dieburgers Ludwig Steinmetz: Es darf keinesfalls vorkommen, daß Juden beim Besuch von Gastwirtschaften vom Wirt und den Gästen unter Drohungen und Beschimpfungen hinausgewiesen werden. Schwer verständlich für uns heute, dass es 1946 nötig war, die deutsche Bevölkerung zu ermahnen, sie habe sich gegenüber Juden korrekt und human zu benehmen. 1948 sah sich die Landesregierung genötigt, ein Plakat mit dem Titel "Antisemitismus ist Dummheit und Barbarei" in Hessen zu verteilen. In der gleichen Zeit begann immerhin auch Wiedergutmachung an jüdischem Eigentum, das nach 1933 geraubt oder beschädigt worden war. 4. Überleben und die Zukunft gestalten Während des mühseligen Ringens ums alltägliche Überleben wurden die Grundlagen für die Strukturen der Zukunft gelegt. Eine deutsche Zivilverwaltung wurde in den Gemeinden wie in den größeren Verwaltungseinheiten kurz nach dem Einmarsch durch die amerikanische Besatzung eingesetzt. Im ehemaligen "Volksstaat Hessen" wurde Prof. Ludwig Bergsträßer Präsident einer "Regierung der Provinz Starkenburg". Am 19. September 1945 gab der US-Militärgouverneur Dwight D. Eisenhower die Bildung des neuen Landes "Groß-Hessen" bekannt, das im wesentlichen aus dem Volksstaat Hessen und der ehemaligen preußischen Provinz Hessen-Nassau zusammengesetzt war. Zur Hauptstadt wurde das relativ unzerstörte Wiesbaden bestimmt. Dort residierte auch das "Office of Military Government for Greater Hesse" unter Oberst James R. Newman. Gründung von Groß-Hessen Die erste hessische Landesregierung wurde von der amerikanischen Militärregierung am 16. Oktober 1945 eingesetzt. Ministerpräsident der Allparteienregierung war der bewußt als Parteiloser ausgewählte Heidelberger Rechtswissenschaftler Karl Geiler. Gegen Skepsis und Widerstand innerhalb der amerikanischen Verwaltung wie gegen organisatorische Bedenken der noch im Aufbau befindlichen deutschen Parteien wurden schon für Januar 1946 erste Wahlen auf Gemeindeebene angesetzt. So wurden am 20. und 27. Januar in den kleineren Gemeinden, am 28. April in den Landkreisen, am 26. Mai in den größeren Städten Gemeindevertreter, Kreistagsabgeordnete und Stadtverordnete gewählt. Aus politischen Gründen war den in Spruchkammerverfahren als "hauptschuldig" und "belastet" Eingestuften das Wahlrecht entzogen worden (ca. 7% der Wahlberechtigten) und außerdem in den Kreistagen eine 15%-Hürde für das Erreichen eines Mandats vorgesehen. Aber sowohl die Wahlbeteiligung (85% in den Gemeinden, 75% in Kreisen und Städten) wie die Verteilung der politischen Mandate wirkte in dieser Hinsicht beruhigend, trotz eines relativ hohen Anteils ungültig abgegebener Stimmen (5,1%). In Kreisen und Städten kam die SPD im Landesdurchschnitt auf 43,2%, die CDU auf 36,9%, die KPD auf 9,3% und die LDP auf 7,3%. Auch die Wahlen für die Verfassungsberatende Landesversammlung am 30. Juni 1946 bestätigten, bei etwas niedrigerer Wahlbeteiligung (71%), das sich abzeichnende Vier-(nach 1970: Drei-)Parteien-System (SPD: 44,3%, CDU: 37,3%, KPD 9,7%, LDP 8,1%) und vor allem die bis 1987 andauernde Dominanz der Sozialdemokraten. Deren Versuch, aufgrund dieses Wahlergebnisses die Zusammensetzung der von den Amerikanern eingesetzten Regierung zu verändern, wurde allerdings von der Besatzungsmacht barsch zurückgewiesen. Die nach dem Willen der Amerikaner auszuarbeitende Verfassung kam als Kompromiss zwischen den beiden großen Parteien zustande. Die CDU erklärte sich schließlich mit einer Sozialisierung von Bergbau-, Eisen-, Stahl (aber nicht mehr der Chemie-) Industrie einverstanden, während die SPD der (möglichen, nie realisierten) Bildung einer Zweiten Kammer neben dem Landtag zustimmte. Auf Verlangen der - hier sehr widerstrebenden - Amerikaner musste der Art. 41 (Sozialisierung) einer gesonderten Volksabstimmung unterzogen werden. Am 1. Dezember 1946 fanden die Volksabstimmungen über Verfassung und Art. 41 sowie gleichzeitig die erste Landtagswahl in Hessen statt. Die Verfassung wurde mit 76%, der Artikel 41 mit 72% der Stimmen angenommen, wobei hier eine beträchtliche Zahl ungültiger Stimmen (12,8 bzw. 13%) abgegeben wurden. Die hessische Landesverfassung orientierte sich konsequent an Forderungen eines Sozialstaates: sie enthält das Recht auf Arbeit, das Streikrecht, erklärt die Aussperrung für rechtswidrig und schreibt Achtstundentag und 12tägigen Mindesturlaub fest. Die Zusammensetzung des Landtags zeigte insofern neue Wählertendenzen, als die KPD auf 10,7%, die LDP aber - vor allem wohl im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den Art. 41 - auf 15,7% anstieg. Dominierend blieb weiterhin die SPD (42,7%), während die CDU nur noch 30,9% erreichte. Neuer Ministerpräsident wurde der Sozialdemokrat Christian Stock, der dem Kabinett einer großen Koalition aus vier Sozial- und vier Christdemokraten vorstand. Eine der wichtigsten Aufgaben war, die Weichen in die Zukunft für die heranwachsende Jugend zu stellen. Die Erschütterung aller gesellschaftlichen Ordnung hatte bei vielen Jugendlichen zur moralischen Verwahrlosung geführt: von unverschuldeten Kriegsfolgen wie Herumtreiberei und Obdachlosigkeit über harmlosere Delikte (Übertretung der Sperrstunde, Rauchverbot in der Öffentlichkeit) bis hin zur beträchtlich gestiegenen Kriminalität (Diebstahl, Prostitution). Mit Hilfe der Besatzungsmacht konnten die durch Mangelernährung aufgetretenen gesundheitlichen Schäden begrenzt werden (z.B. mittels der nahezu flächendeckend organisierten Schulspeisung). Schwieriger war es, das Schulsystem zu verändern, in dem vor allem die Amerikaner, aber nur wenige deutsche Politiker wie z.B. der Darmstädter Landrat Wink eine der Ursachen für die Katastrophe von 1933 sahen. Die amerikanische Forderung nach Demokratisierung des Schulwesens stieß überwiegend auf taube Ohren. Realisiert wurden in Hessen immerhin das Verbot körperlicher Züchtigung, die überkonfessionelle Gemeinschaftsschule, die Schulgeld- und Lehrmittelfreiheit. Gegen die übrigen Reformen (Aufhebung der standesähnlichen Trennung der Schulformen, Einführung einer gemeinsamen 6-jährigen Grundschule) opponierten vor allem die Lehrerverbände höherer Schulen. Mit der Gründung des Schuldorfs Bergstraße 1952 als erster (additiver) Gesamtschule in Deutschland konnte Landrat Wink ein Zeichen setzen, an das erst in den siebziger Jahren wieder angeknüpft wurde. Die Lehrerschaft der 50er Jahre führte freilich auch in neuem Rahmen oft den alten autoritären Stil weiter. |
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