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4. Demokratischer Neubeginn
1. Neuorganisation politischen Lebens Nach dem Einmarsch der Amerikaner war es bereits im April und Mai 1945 zu ersten Treffen demokratischer Politiker gekommen. Aufgrund des von der Besatzungsmacht verordneten Parteienverbots konnten diese Gespräche vorerst nur auf örtlicher Ebene und zudem illegal stattfinden. Dennoch standen sie am Anfang der neuen hessischen Parteienlandschaft. Im August 1945 erlaubte die Militärregierung die Neubildung politischer Parteien zunächst auf Kreisebene. Daraufhin kam es im Herbst gleichen Jahres zur Wieder- bzw. Neugründung politischer Gruppierungen, deren Ziel es war, den demokratischen Aufbau mitzugestalten. Anknüpfend an ihre alte geschichtliche Tradition konstituierten sich SPD und KPD als erste Parteien. Hinzu trat die regional unterschiedlich strukturierte CDU als christliche Sammlungsbewegung. Der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) als Vorläuferin der heutigen FDP fiel es aufgrund ihrer historischen Wurzeln am schwersten, eine Parteiorganisation aufzubauen und politisches Profil zu gewinnen. Die Frühgeschichte des politischen Engagements ist bestimmt von radikaler Abwendung von der NS-Diktatur mit einem grundsätzlichen ethischen Anspruch, der anfangs auch noch die verschiedenen politischen Parteien verband. Im Spätsommer 1945 trafen sich trotz amerikanischen Verbots im Kapuzinerkloster Dieburg einige christlich orientierte Männer und Frauen aus beiden christlichen Konfessionen (L. Steinmetz), um über eine Parteigründung zu beraten. Im Oktober 1945 wurde der Kreisverband Dieburg der CDU gegründet, im Dezember gleichen Jahres fand die erste, von der Besatzungsmacht genehmigte offizielle Parteiversammlung statt. Die Dieburger Leitsätze (Dokument 4) wurden von Kapuzinerpater Markus Müssig entworfen. Sozialistische Züge wie in der hier geforderten neuen Wirtschaftsform waren für die hessische CDU der Anfangsjahre typisch. In den schon im September 1945 zur Parteigründung vorgelegten Frankfurter Leitsätzen der dortigen CDU wurde ein wirtschaftlicher Sozialismus auf demokratischer Grundlage gefordert. 2. Erste politische Gehversuche An der Wahlurne (Zeichnung von H. Pfeil, Groß-Umstadt 1946) Nach 13 Jahren nationalsozialistischer Diktatur fanden in Hessen Ende Januar 1946 erstmals wieder freie Wahlen statt. Zunächst stellten sich am 20. Januar die neugebildeten politischen Parteien in Orten bis zu 20.000 Einwohnern in den Gemeindewahlen dem Votum der Wähler. Von den so gewählten Gemeindevertretungen wurden die von der Besatzungsmacht eingesetzten provisorischen Bürgermeister entweder bestätigt oder abgewählt. Die als Versuch zugelassene Wahl entsprach den Erwartungen der Amerikaner. Von der hohen Wahlbeteiligung von über 80 % ermutigt, forcierten die US-Behörden den Aufbau der Demokratie. Am 28. April gleichen Jahres wurde für die Kreistage, am 26. Mai in den kreisfreien Städten gewählt. Aus allen Wahlen ging die SPD als stärkste Partei hervor. - Anhänger des NS-Systems durften nicht wählen; das waren in den Landgemeinden über 8% der Wahlberechtigten. Vielerorts wurde - wie z. B. das Protokoll in der ersten Sitzung des gewählten Gemeinderats in Pfungstadt am 18.2.46 vermerkt - dieser demokratische Neuanfang feierlich begrüßt: Der Bürgermeister gab seiner Freude Ausdruck, daß das deutsche Volk erstmalig wieder frei seine Leute in den Gemeinderat wählen konnte. Er richtete einen Appell an jedes Gemeinderatmitglied helfend mitzuwirken und seine volle Kraft einzusetzen. (StadtA Pfungstadt) Maria Sevenich spricht am 11. April 1946 auf einer Wahlkundgebung der CDU in Groß-Umstadt (Skizze von H. Pfeil). - Der Wochenbericht des Bürgermeisters an die Militärregierung betonte, dass sie ihren Vortrag insbesondere unter Hervorhebung der hohen Ideale, die der kirchliche Glaube in sich birgt, aufgebaut hatte. Maria Sevenich (1907-1970) wurde in Köln geboren, studierte nach dem Sonderbegabten-Abitur Rechtswissenschaft und Philosophie in Frankfurt am Main. Seit dem 16. Lebensjahr war sie Mitglied der KPD, wurde 1933 verhaftet, flüchtete in die Schweiz, später nach Frankreich, wandte sich dort vom Marxismus zum katholischen Glauben. 1942 wurde sie von der Gestapo verhaftet, 1945 von den Amerikanern befreit. In Darmstadt gehörte sie zu den Mitgründern der an christlichen Grundsätzen orientierten "Deutschen Aufbaubewegung", aus der in Stadt und Landkreis dann die CDU hervorging. Maria Sevenich wirkte bei der Gründung der hessischen CDU mit, gehörte deren Landesvorstand an und war Mitglied der verfassungsberatenden Landesversammlung Groß-Hessen. 1947 zog sie nach Niedersachsen, war dort für die CDU im Landtag, trat 1948 aus der CDU aus und 1949 in die SPD ein, für die sie bis 1970 Landtagsabgeordnete in Niedersachsen war. Von 1965-1967 amtierte sie als niedersächsische Ministerin für Bundesangelegenheiten, Vertriebene und Flüchtlinge. 1970 trat sie aus Protest gegen die neue Ost- und Außenpolitik von Bundeskanzler Brandt aus der SPD aus und wieder in die CDU ein. 3. Auf dem Weg in die Bundesrepublik In der am 1. Dezember 1946 zugleich mit der ersten Landtagswahl durchgeführten Volksabstimmung über die neue Verfassung des Landes Hessen wurde die Verfassung selbst mit 76,8 % Ja-Stimmen, der gesondert zur Abstimmung gestellte Sozialisierungsartikel 41 mit 72 % gebilligt. Bei der Wahl des ersten verfassungsmäßigen Landtags siegte die SPD zwar mit 42,7 % der Stimmen, mußte aber gegenüber der Wahl zur verfassungsberatenden Landesversammlung vom 30. Juni gleichen Jahres Stimmenverluste hinnehmen. Von 2,3 Millionen Wahlberechtigten blieben 134.091 wegen gegen sie anhängiger Entnazifizierungsverfahren von der Wahl ausgeschlossen. Die Landtagswahlen von 1950 brachten der SPD infolge einer Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht die absolute Mehrheit der Sitze. Zweite Kraft wurde die aus der LDP hervorgegangene FDP. Sie war in einer Listenverbindung mit dem "Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE) zur Wahl angetreten. Für die CDU war das Abschneiden bei der Wahl enttäuschend. Die SPD deutete das Wahlergebnis als Ablehnung der Bevölkerung gegenüber der "Remilitarisierungsfrage". Von der CDU wurde die niedrige Wahlbeteiligung als entscheidendes Manko angeführt. "Wähler, tut Eure Pflicht!" - Wahlaufruf zum Volksentscheid über die Hessische Verfassung im Landkreis Darmstadt (Amtliches Mitteilungsblatt für den Landkreis Darmstadt, 29. November 1946). 4. Die Entstehung des Landkreises Darmstadt-Dieburg Im Rahmen der seit 1972 von der hessischen Landesregierung erlassenen Neugliederungsgesetze kam es mit dem 1. Januar 1977 zum Zusammenschluss der bisherigen Landkreise Darmstadt und Dieburg zum neuen Kreis Darmstadt-Dieburg. Ziel der Kreisreformen, die auf Drängen der FDP ins Programm der im November 1970 neugebildeten Koalitionsregierung aufgenommen worden waren, war die Schaffung leistungsfähigerer Verwaltungseinheiten. Sowohl die Stadt Darmstadt als auch der Kreis Dieburg hatte der Landesregierung voneinander abweichende Modelle und Vorschläge unterbreitet. Die Verwaltungsfachleute drängten die Regierung jedoch zu einer Umlandskreislösung. Der von der Stadt Darmstadt vorgeschlagene Stadtkreis und die vom Kreis Dieburg verfochtene Lösung hätten demgegenüber nur den engsten Umlandbereich mit der Stadt verknüpft, ihn aber vom übrigen Umland getrennt. Der neue Kreis Darmstadt-Dieburg umfaßt etwas mehr als 658 qkm und hat mit rund 250.000 Einwohnern weit über 100.000 mehr als die von ihm umschlossene Regionalstadt. |
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