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Dieter Kohlmannslehner : Die Wahlen im Landkreis Darmstadt 1946 - 1948 im Vergleich

  1. Wahlen 1946 - Wahlbeteiligung
  2. Wahlergebnis
  3. Frauen als Mandatsträger
  4. Parteienstruktur
  5. Kommunalwahlen 1948
  6. Einfluss der Vertriebenen und Flüchtlinge






Seitenanfang1. Wahlen 1946 - Wahlbeteiligung

Durch die kurze Wahlkampfperiode (Dezember 1945 bis Januar 1946) wurde die SPD bevorzugt, die über einen alten Personalstamm aus der Weimarer Zeit verfügte und sich frühzeitig organisiert hatte. Die neu gegründete CDU kandidierte (in Darmstadt und Umgebung unter dem Namen "Deutsche Aufbaubewegung") daher nicht in allen Kommunen im Landkreis Darmstadt, vor allem nicht in den kleineren ländlichen. Vor allem in Kommunen mit hohem Arbeiteranteil stellte sich die durch die Naziverfolgung besonders geschwächte KPD zur Wahl, doch scheiterte sie mancherorts an der - wegen der Furcht vor der Parteienzersplitterung von Weimar eingeführten - hohen Sperrklausel von 15%. Die LDP, spätere FDP, trat gar nicht erst an.

Trotz gegenteiliger Befürchtungen verlief die Gemeinderatswahl problemlos bei einer hohen Wahlbeteiligung von knapp 90%. In einigen kleineren Gemeinden des Landkreises allerdings lag sie deutlich darunter, so in Braunshardt mit 64%, Nieder-Modau mit 69% und Ernsthofen mit 71%. Hier kandidierte nur die SPD. Fast zehn Prozent der Wähler und Wählerinnen gaben kreisweit ungültige Stimmzettel ab, wobei sich in manchen Kommunen ungewöhnlich viele ungültige Stimmen fanden, so in Brandau und in Griesheim mit fast 20%. Während die Ursache dafür in den kleineren Gemeinden wohl das Fehlen einer Alternative zur SPD war, mangelte es in Griesheim offensichtlich an einer bürgerlichen Partei, da lediglich SPD und KPD kandidierten. Zudem strebte die CDU in Hessen einen "Sozialismus aus christlicher Verantwortung ohne Kollektivismus " an - nachzulesen in den Dieburger Grundsätzen. Das schreckte wohl manche "bürgerlichen" Wähler davon ab ab, das Wahlrecht überhaupt auszuüben. Hier lag wohl vor allem das Potential für die rechtsgerichtete LDP, die spätere FDP, die im Landkreis erst zu den Hessenwahlen kandidierte.

Kreisweit waren 8,5% der Wählerschaft vom Wahlrecht ausgeschlossen. Ein Wahlausschuss in jedem Ort hatte die Wählerliste aufzustellen und die Wahlberechtigten nach den oben genannten Maßstäben zu prüfen. Der Anteil der Ausgeschlossenen differierte von Ort zu Ort . Manche werden es als grobe Willkür empfunden haben. In Ober-Ramstadt wurde 556 Personen das Wahlrecht versagt; bei 3392 Wahlberechtigten lag diese Zahl doppelt, in Nieder-Ramstadt (mit 620 Ausgeschlossenen zu 2640 Wahlberechtigten) sogar dreimal so hoch wie im Kreisdurchschnitt.






Seitenanfang2. Wahlergebnis

Äberlegener Sieger der ersten Nachkriegswahl im Landkreis Darmstadt war die SPD mit über 22.291 von ca. 32 000 gültigen Stimmen. Mit 69,5% Stimmenanteil erhielt sie 226 von 331 Gemeinderatssitzen. Die CDU kam mit 12,8% der Stimmen auf 46 Sitze, die KPD mit fast gleicher Stimmenzahl (12,4%) auf nur 12 Sitze. Diverse parteilose Wählergruppen erhielten mit nur 3944 Stimmen (5,2%) 45 Mandate. Wegen der hohen Sperrklausel von 15% spiegelt die Sitzverteilung nur schlecht die gesamte Stimmenverteilung wider:

Die freien Wählergruppen waren vor allem in kleineren Gemeinden anzutreffen wie in Balkhausen, Braunshardt, Eich, Frankenhausen, Neunkirchen, Ober-Beerbach und Waschenbach. Hier erhielten sie, da sie meist als einzige Liste antraten, oft die Mehrheit. In den etwas größeren Gemeinden traten sie lediglich in Alsbach in Erscheinung, dort bekamen sie sieben Sitze gegenüber fünf für die SPD. Auch diese war vielfach die einzige Partei und dominierte folglich, so in Bickenbach, Brandau, Allertshofen, Hoxhohl, Ernsthofen, Erzhausen, Eschollbrücken, Gräfenhausen, Griesheim, Hähnlein, Hahn, Lützelbach, Messel, Nieder-Beerbach, Nieder-Modau, Nieder-Ramstadt, Ober-Ramstadt, Pfungstadt, Roßdorf, Schneppenhausen, Seeheim, Traisa, Weiterstadt, Wembach-Hahn und Wixhausen (das bis 1977 noch zum Landkreis Darmstadt gehörte). Die CDU konnte nur in wenigen Gemeinden die Mehrheit gewinnen: in Malchen, Neutsch, Ober-Modau. Die KPD hatte in einigen größeren Gemeinden die 15% Grenze übersprungen und war in Bickenbach, Griesheim, Ober-Ramstadt, Pfungstadt jeweils mit mehreren Abgeordneten, in noch in weiteren vier Gemeinden mit je einem Sitz vertreten.






Seitenanfang3. Frauen als Mandatsträger

Unter den 331 gewählten Gemeinderäten im damaligen Landkreis Darmstadt befanden sich nur vier Frauen: Lina Berck aus Erzhausen, Marie Römer aus Hahn, Anna Hechler aus Pfungstadt, alle SPD, und von der CDU Käthe Ferdinand aus Ober-Ramstadt. Diese geringe Zahl ist erstaunlich, nicht nur deshalb, weil viele Männer noch in Gefangenschaft oder vom Wahlrecht ausgeschlossen waren. Die Stellung der Frau hatte ja durch den Krieg eine Aufwertung erfahren. Vor allem nach der Schlacht um Stalingrad wurden zunehmend auch Männer im fortgeschrittenen Alter zur Wehrmacht eingezogen. Somit mussten Frauen deren Arbeit übernehmen, die damit entgegen der Naziideologie auch in verantwortungsvollere Positionen aufrückten. Nach dem Krieg wäre also eine günstige Voraussetzung vorhanden gewesen, dass sich Frauen in Anknüpfung an die emanzipatorischen Bestrebungen aus der Weimarer Zeit stärker in der Politik hätten engagieren können. Aber eine Frau wie Maria Sevenich blieb eine Ausnahme. - Eine politische Kontinuität zur Weimarer Republik besteht eher darin, dass der überwältigende Teil der Gemeindevertreter bereits vor der Nazizeit politisch aktiv war. Sie hatten Erfahrung in der Kommunalpolitik und waren so für eine demokratische Verantwortung vorbereitet. Viele junge Menschen, vor allem ehemalige Soldaten, lehnten dagegen eine politische Beteiligung ab. Sie fühlten sich von der NS-Politik "missbraucht" und gingen auf Distanz. Manche Parteipolitiker vertraten konservative Rollenvorstellungen. So warnte die FDP in einer Anzeige vor der Annahme des Verfassungsentwurfs, weil zu viele Männer sich noch in Gefangenschaft befänden. Die Wahlwerbung mehrerer Parteien, die sich an Frauen wandte, ging eher von einer passiven politischen Rolle der Frau aus und betonte ihre Rolle als Mütter.






Seitenanfang4. Parteienstruktur

Mit den Landtagswahlen war ein für die politische Entwicklung wichtiges Jahr zu Ende gegangen. Auf allen Ebenen waren Parlamente gewählt worden, die in eigener Verantwortung, wenn auch unter amerikanischer Kontrolle, Beschlüsse fassen konnten, die mehr und mehr die Anordnungen der amerikanischen Militärverwaltung ablösten. Die Parteienstruktur war festgelegt, wenn es auch noch erhebliche Verwerfungen geben sollte, z. B. durch die "Flüchtlingspartei" BHE.

Im Zeichen des immer stärker hervortretenden "Kalten Krieges", aber auch der Orientierung an Ostberlin, geriet die KPD zunehmend in Isolierung, auch wenn sie programmatisch nach wie vor der SPD nahe stand, die sich aber öffentlich zuzunehmend von ihr abgrenzte. Dennoch malte die FDP in den Wahlkämpfen offenbar nicht ohne Erfolg das Gespenst einer sozialdemokratisch-kommunistischen Zusammenarbeit an die Wand. Dazu mußten lokale gemeinsame Aktionen von SPD und KPD in Südhessen herhalten, so eine Störung einer Versammlung zum Bundestagswahlkampf 1949 mit dem FPD-Kandidaten, dem ehemaligen Wehrmachtsgeneral Hasso von Manteuffel.






Seitenanfang5. Kommunalwahlen 1948

Bei den vorgezogenen Gemeindewahlen 1948 - nur noch ganz wenige "Nazis" waren von der Wahl ausgeschlossen - kandidierten neben den bereits erwähnten Wählergruppen die vier Parteien SPD, CDU, KPD und LDP. In vielen kleineren Orten fehlten aber der LDP wie auch der CDU die Kandidaten, so daß oft nur SPD und KPD antraten. Dort war dann die Wahlbeteiligung geringer und die Zahl der ungültigen Stimmen höher, so in Pfungstadt mit einer Wahlbeteiligung von 85% und 570 ungültigen von 5 700 Stimmen, in Ober-Ramstadt mit 1 178 ungültigen von 4 175 abgegebenen Stimmen.

Die SPD erhielt nur noch 44,8% (statt 69,6%) der Stimmen und 226 von 184 Mandaten. Sie gab somit gleichmäßig an alle drei anderen Parteien wie auch an die Wählergruppen Stimmen ab, blieb aber immer noch die bei weitem stärkste Partei. Die KPD legte an Stimmen, aber vor allem an Mandaten zu (von 12 auf 44), da es nun nur noch eine 5%-Sperrklausel gab, die sie in den meisten Orten, in denen sie kandidierte, überwinden konnte. Die LDP konnte nur in wenigen Gemeinden Fuß fassen und erhielt in Messel und Jugenheim jeweils 5 von 12 Mandaten.

Die Kreistagswahl 1948 deutete eine Veränderung im Parteienspektrum an. Während die KPD ihren Stimmenanteil mit 15,3% fast halten konnte, fielen die SPD auf 45% und die CDU auf 23,5%. Gewinner war die LDP mit 16,2%. Der CDU war die Juniorrolle in der Koalition mit der SPD im Hessischen Landtag nicht gut bekommen. Ihre Wählerzahl sank von Wahl zu Wahl.

Die LDP, die ihren Schwerpunkt in Nord- und Mittelhessen hatte, profitierte davon auch in unserer Region, so in der Stadt Darmstadt und in Messel, Jugenheim, Traisa und Alsbach. Sie trat als stark rechts gerichtete Partei auf und ging sogar zur ersten Bundestagswahl in Hessen eine Wählerliste mit der NPD ein. Damit überholte sie bald die CDU und blieb für fast ein Jahrzehnt auf allen politischen Ebenen in Hessen zweite politische Kraft. Der linke Sonderweg der hessischen CDU zahlte sich im Wahlergebnis nicht für sie aus.






Seitenanfang6. Einfluss der Vertriebenen und Flüchtlinge

Die Verluste der CDU wären sicher noch höher ausgefallen, hätten sich nicht ab 1946 viele Heimatvertriebene im Landkreis niedergelassen. Sie stammten zum größten Teil aus dem katholischen Sudetengebiet und wählten in höheren Maße als die "Einheimischen" entweder CDU und FDP oder später nach Gründung der Bundesrepublik auch teilweise den BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten), der als langjähriger Koalitionspartner der SPD in der Landesregierung noch eine wichtige Rolle spielen sollte.

In Griesheim, mit einer weit unterdurchschnittlicher Flüchtlingszahl von 6,9%, gab es bei den ersten drei Kommunalwahlen keine bürgerliche Liste, während sich in Kommunen mit hoher Flüchtlings- und Evakuiertenzahlen wie Pfungstadt mit 22,1%, Ober-Ramstadt mit 33,8%, Roßdorf mit 31,2% 1948 und verstärkt 1952 bürgerliche Listen bildeten, die auch starken Zulauf fanden, ohne indes die Stimmenzahl von SPD und KPD merklich zu reduzieren.