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Georg Dintelmann


Lebenslauf:


Georg D i n t e l m a n n, Metzgermeister in Darmstadt, Unteroffizier des Feld- Art.Rekruten-Depot Nr. 27, geboren am 12. Juni 1879 zu Darmstadt, besuchte bis zu seinem 15. Jahre die Realschule dahier und erlernte alsdann bei seinem Vater das ehrsame Fleischerhandwerk. Zu seiner weiteren Vervollkommnung und Ausbildung ging er dann auf 1 Jahr nach Göttingen und 1/2 Jahr nach Frankfurt a. Main und erwarb sich, als fleissiger und strebsamer Arbeiter in seinem Berufe die Wertschätzung und Achtung seiner Meister in vollstem Masse. Seiner Militärpflicht genügte er von 1900 bis 1902 bei dem Artillerie-Regiment Nr. 25. Er verstarb am 27. Juli 1917 an einem Herzschlage in Hatrize in Frankreich und wurde vorerst auf dem Soldatenfriedhof in Labry beerdigt. Er hinterlässt ausser den Eltern und Geschwistern eine Witwe und zwei schulpflichtige Kinder. Am 1. August 1914 musste er eine Kur, die er eines Herzleidens wegen begonnen, unterbrechen, rückte am 6. Mobilmachungstage als Unteroffizier im Artillerie-Regiment Nr. 61 ein und war vorerst nur einige Wochen bei der Ausbildung in Darmstadt tätig. Am 24. März 1915 wurde er zum Landsturm-Jnf. Ers. Bat. Dillenburg eingezogen, kam von Dillenburg nach Glückstadt und am 11. Mai 1915 mit seinem Truppenteil als Fourier nach Galizien. Nach seiner Schilderung war Grybo zur damaligen Zeit von den Russen noch ziemlich verschont, nur wenige Häuser zerstört, dagegen viel mutwillig demoliert. Die dortige Bevölkerung ist russenfreundlich, gesprochen wird polnisch. Doch war ihres Bleibens dort nicht lange. In einem Briefe an seine Frau schreibt er:

"Du wirst Dich wohl gewundert oder gar geängstigt haben, weil ich gestern nicht schrieb. Aber die Zeit, die Du zum Schlafe übrig hast, die schlafe ruhig. Macht Euch keine Sorgen um mich, es ist genug, wenn ich mir welche um Euch mache. Wir wurden nämlich gestern, als ich gerade beim Schreiben war, alarmiert und mussten wieder ausrücken. Jedoch nicht weiter vor, sondern 24 Km zurück nach Neu-Sandez, um den dortigen Etappendienst zu übernehmen, da es sich zeigte, dass unsere Truppe meistens kranke und gebrechliche Leute, keine Märsche mitmachen konnten. Doch wollen wir mit felsenfester Zuversicht zu dem Höchsten aufsehn und bitten, dass er auch weiter unsere Geschicke zum Beet leitet, wie er es bisher getan hat. Komme es wie es wolle, wie es Gottes Wille ist. Wir alle werden unsere Schuldigkeit tun. Der Gerechtigkeit muss der Sieg werden. Solange wir in Grybo waren, war ich auch Leiter der Etappenschlachterei, versah den Fleischbeschaudienst, hatte die Fleischausgabe, den Viehempfang und das Einkaufen und Abholen des Viehes zu besorgen. Gewiss sehr vielseitig. Allerdings standen mir dazu Leute und Wagen, soviel ich benötigte, zur Verfügung. Wir liegen hier in einer Kaserne. In meinem Zimmer ist nur ein Fenster kaputt. Holzwolle mit einer Zeltbahn gedeckt auf der Erde, den Rucksack als Kissen, ist mein Lager. Mein Mantel die Bettdecke. Die Kleider bekamen wir seit wir von Glückstadt weg sind, noch nicht vom Leibe. Am Tage ist es heiss, nachts sehr kalt. Ich kniee beim Schreiben vor einer alten Kiste. Licht ist ein Kerzenstumpf. Wasser dürfen wir keins trinken, weil alle Brunnen mit Typhusbazillen verseucht sind. Einige von unseren Leuten sind schon erkrankt. Einer davon gestorben."

Da seine Leute nur ungern die erforderlichen Lebensmittel in die Isolierbaracken besorgten, erkannte er es als Fourier als seine höchste Pflicht, selbst die Kameraden damit zu versorgen. Er liess sich daraufhin nochmals vom Arzt impfen und ging furchtlos und unerschrocken unter eigener Lebensgefahr hinein. Anfangs Juni wurde er zu unser aller Freude und Ueberraschung auf kurze Zeit beurlaubt und dann dem Jnf. Ersatz-Bataillon Darmstadt zugeteilt. Da er aber bei seinem Herzleiden den Infanteriedienst für die Dauer nicht mitmachen konnte, kam er am 1. September 1915 zur IV.Ersatz-Batterie II. Ersatz-Art. Regt. Nr 6 hier zum Ausbilden der Rekruten. Doch schon nach einigen Wochen wurde er abgerufen und als Oberschlachter der hiesigen Garnisonsschlachterei zugeteilt, wo er über 1 Jahr mit kurzen Unterbrechungen und unermüdlichem Eifer und Pflichttreue seines Amtes waltete. Im Frühjahr 1917 kam er wieder zum Ausbilden zu seinem Truppenteil und am 19. Juli in Feld-Art. Rekruten-Depot Nr. 27 nach Frankreich. Obwohl er durch die treue und aufopfernde Pflege seiner Gattin und Mutter bei seinem schweren Herzleiden mit ganz besonderer Liebe und Verehrung an seinen Angehörigen hing, war er doch stets mit Leib und Seele Soldat und sich jederzeit seiner hohen Aufgabe und Pflicht dem Vaterland gegenüber bewusst. Bewunderungswert ist die Energie, mit der er sich immer wieder aufraffte und die Seinen über sein Leiden hinwegzutäuschen suchte. Als kann vom edelsten Charakter und treuester Pflichterfüllung zog er, wenn auch schweren Herzens, doch mutig zum zweitenmal ins Feld. In seinem letzten Briefe vom 26.7.17 an seine Gattin schreibt er noch:

"Vielen Dank für Deinen lieben Brief, Zeitungen und Paketehen. Alles kam gut an. Doch Zeitungen lieber Schatz brauchst Du mir wirklich nicht zu schicken. Wir haben heute abend schon das Morgenblatt der Frankfurter Zeitung vom 26.7. erhalten. Du siehst also, dass wir hier absolut nicht so weit von der Kultur abgeschnitten sind. Ausserdem habe ich in meiner dienstfreien Zeit schon zwei Bücher von Courths-Mahler gelesen, die ich Dir demnächst zuschicken werde. Du weist ja lb. Schatz, ich muss ständig Beschäftigung, Zerstreuung und Ablenkung haben, sonst werde ich verrückt. Die Verpflegung ist gut, der Dienst verhältnismässig leicht, es fehlt mir nichts wie Du. War auch dieser Tage mit meinen Leuten in einem ehemaligen Schützengraben und übte scharfes Handgranatenwerfen. Das war sehr interessant, nur war der Weg, wenn auch nah, doch etwas weit und anstrengend für mich. Lieber Schatz Du fragst, ob wir hier in Bürgerquartier liegen? Dabei bedenkst Du nicht, dass hier besetztes Gebiet ist. Hatrize ist eine kleine Ortschaft und seit dem Gefecht, das 1914 hier stattfand, in deutschem Besitz. Die Bürger bekommen 1-2 Zimmer und Küche zugewiesen, das übrige braucht einfach das Militär. Die Verpflegung, Reinigen, kurz alles besorgt ebenfalls das Militär. Die Strassenreinigung Belgier. Alle arbeitsfähigen Einwohner und Einwohnerinnen müssen für die Kommandantur arbeiten. Wo ich wohne, Madame Bouche, liegen 24 Mann, 4 Unteroffiziere. Und wenn Abende alles still und ruhig ist und man hört aus weiter Ferne das Grollen der schweren Geschütze, dann bete ich für Euch und bin Gott doppelt dankbar, dass sich dieser fürchterliche, alles verheerende Krieg nicht in unserem geliebten Vaterlande abspielt. Doch für heute will ich schliessen. Macht Euch nochmals keine Sorgen um mich."

Und in dieser Nacht ereilte ihn das furchtbare Geschick. Um « 2 Uhr ist er plötzlich und unerwartet, einsam und verlassen, fern von seinen Lieben und unbemerkt von seinen Kameraden an einem Herzschlage verschieden. Eine höhere Gewalt hat seinem Leben schon so früh ein Ziel gesetzt und ihn zu sich gerufen. Seine Leiche wurde am 28. Juli nachmittags 4 Uhr auf dem Soldatenfriedhof zu Sabry beerdigt und am 26. October 1917 nach der Heimat überführt. Welcher Verehrung und Wertschätzung sich der Verstorbene bei seinem Vorgesetzten, Kameraden und Collegen erfreute, geht aus den unzähligen Briefen und zahlreichen Blumen und Kranzspenden bei seiner Ueberführung an die mit ihm in überaus glücklicher Ehe lebende Gattin hervor.





Selbstzeugnis:


Beiliegend ein von meinem l. Mann verfertigtes Gedicht, deren ich auf Wunsch
noch etliche erbringen könnte.

Mein innerer Gedankengang am Deich in Glückstadt

Auf grünem Deich am Elbestrand
...............................ich reiten
Drum nahm mein Bleistift in die Hand
Und laß mein Auge weiden.
Ringsum die grüne Weidenflur
Besetzt mit Rinderherden;
Oh weidet und gedeihet nur
Damit nicht Not kann werden.
Der Will ist groß und schwer die Zeit
In der wir heute leben.
Der Feinde Schar bringts nie so weit,
dass wir vor ihr erbeben.
Vor mir im hellen Sonnenschein
Der Elbe Fluten gaukeln
Seh manchen Dampfer fernwärts ein
Mit seinem ........ Schaukeln.
Und lieblich wie die Landschaft hier
Mal ich mir Zukunftsbilder
Bin in Gedanken weit von hier
Bei meiner Frau und Kinder.
Jedoch solang der Feinde Schar
Nicht völlig ist vernichtet
Sind diese Träume immerdar
Von Sehnsucht nur erdichtet.
Drum unverzagt mein treues Herz
Bete zu dem Allmächtigen
Dann wird dir leicht der Trennungsschmerz
Und gut wird alles endigen.


N.B. Der Zufall spielt oftmals höchst eigenartig, denn gerade eine Stunde vor dem Tode meinen unvergesslichen Mannes, las ich beifolgendes wunderbare, trostreiche Gedicht: "Der Abschiedsgruss eines Gefallenen an sein Weib". Ahnungslos, dass gerade dieser Gruss eine Stunde darnach schon für mich von höchst wichtiger Bedeutung werden und in ganz besonders trostlosen Stunden mich wieder aufrichten könne. Er lautet:

"Wenn ich einst fallen sollt' dann muss Dein Sinn
Sich still in Gottes heil'gen Willen fügen,
Dann muss es Dir zu süssem Trost genügen,
Dass ich den Heldentod gestorben bin;
Dann zeige stolz in leidverklärten Zügen,
Wieviel Du gabst dem Vaterlande hin.
Schwer liegt auf Blütenkelchen oft der Tau;
Das Leid kommt auch vom Himmel, liebste Frau.
Wenn ich einst fallen sollt' dann muss Dein Mund
Den lieben Kindern Deinen Schmerz verhehlen;
Dann musst Du ihnen viel von mir erzählen,
Und wie ich euch geliebet, tu ihnen kund.
Wenn sich die letzten Sonnenstrahlen stehlen,
Zu euch ins Zimmerlein zur Abendstund'
Und man Dein Antlitz sieht nicht so genau,
Dann darfst auch Du mal weinen, liebste Frau."