Dokument


Karl Ruppel


Lebenslauf:

Darmstadt, den 1. Dezember 1916
An das Historische Museum und Archiv
der Stadt Darmstadt
Dem gewünschten Wunsch gemäß übersende ich aus der Hinterlassenschaft meines Sohnes Karl Ruppel einen Lebenslauf desselben, ein Bild als Soldat, sowie einen von demselben aus dem Felde gesandten Brief zur gewünschten Weiterverwendung in dem von Ihnen geplanten vaterländ. Gedächtniswerk.
Hochachtungsvoll
Anna Ruppel, Wwe.
Roßdörferstr. 24


Lebenslauf des Karl Ruppel, Darmstadt, Roßdörferstr. 24 Karl Ruppel wurde am 21. Oktober 1893 zu Bad Salzhausen in Oberhessen als Sohn des verstorbenen Gastwirts Adolf Ruppel von Nidda Oberhessen und dessen Ehefrau Anna geb. Huber von Böttingen (?) Württemberg, geboren. Von seinem 6. bis 14. Lebensjahr besuchte er die Volksschule zu Geiß-Nidda Oberhessen. Nach erfolgter Konfirmation kam derselbe bei der Firma Ludwig Alter, Darmstadt, als Zeichnerlehrling in die Lehre. Während seiner Lehrzeit, von 1908 bis 1912 besuchte er die Handwerksschule zu Darmstadt. Nach abgeschlossener Lehrzeit trat derselbe in Leipzig und in Berlin in Stellung als Möbelzeichner. Aus letzterer Stellung wurde er am 1. Mai 1915 zum Inf.Rgt. 24 einberufen. Er machte in der Folge die Kämpfe auf dem östlichen Kriegsschauplatze mit, erkrankte in Darmstadt und wurde nach Wiederherstellung bei einem Grabengefecht verschüttet. Durch eine dabei erlittene Lungenverletzung wurde er am 20. Juli 1916 als dauernd invalide entlassen. Am 3. Oktober 1916 erkrankte er aufs neue an Rippenfellentzündung und verstarb am 23. Oktober 1916 im Städtischen Krankenhaus. Darmstadt, den 1. Dezember 1916
Anna Ruppel. Wwe.
als Mutter.




Selbstzeugnis:

Rußland, 15. VIII. 15
Mein liebes Muttchen!
Da wir heute früh noch in Reserve liegen, habe ich einmal einen Augenblick Zeit, Dir einige Zeilen zu schreiben. Hoffentlich hast Du jedesmal meine Karten erhalten, damit Du Dich nicht unnötig ängstigst. Ich hatte bis jetzt immer noch Glück. Wir verfolgen die Russen den ganzen Tag, nun sind wir schon seit vier Tagen in Reserve. Wir müssen zwar jeden Tag grosse Märsche zurücklegen, aber die Russen rücken auch immer so schnell wieder aus. Wir lagen neulich vor einer sehr starken russischen Stellung, die wir in der Nacht erstürmen sollten, aber als wir am morgen um 2 Uhr vorrücken, war die Stellung geräumt und die Russen geflüchtet. 2 andere Bataillone unseres Regiments haben in der Nacht angegriffen und hatten auch dabei einige Mann Verluste, wir lagen zum Glück erst in zweiter Linie, wurden aber den ganzen Tag von russischer Artillerie beschossen, die Gott sei Dank viel zu kurz schoß, ungefähr 50-100 Meter vor uns schlugen die Granaten und Schrapnells ein, wir lagen den ganzen Tag in unsern Erdlöchern und schauten den Himmel an, es war furchtbar heiß, und unsere Artillerie, die kaum 100 Meter von uns stand, schoß den ganzen Tag und unsere schwere Batterien schossen immer über uns hinweg. Wenn es weiter geht, will ich gerne zufrieden sein, lieber den ganzen Tag in glühender Sonnenhitze marschieren als eine Stunde im Gefecht, wo jede Kugel den Tod bringen kann. Nur das Schlafen ist auch sehr schlecht, die Tage sind zum Ersticken heiß und die Nächte zum Erfrieren kalt. Manchmal haben wir ja Zelte aufgeschlagen, aber nur wenn wir in Reserve liegen, sonst liegt jeder in seinem Erdloch und deckt sich mit dem Mantel zu. Die erste Nacht, die wir im vordersten Schützengraben verbrachten, war nicht gerade die schönste. Von allen Seiten pfiffen uns die Kugeln um den Kopf, man konnte kaum den Kopf hochnehmen, zwei Kugeln schlugen bei mir in den Sand, der als Brustwehr dient, ein. Am Morgend des nächsten Tages beerdigten wir einen Kameraden (20 Jahre alt), der schon in Frankreich war, unter einigen Birkenbäumen. Wir machten ein Holzkreuz darauf. Er hatte einen Kopfschuß und einen Schuß ins Herz. Sehr viele tote Russen lagen vor unserer Stellung, ich habe gerade genug von dem Krieg. Aber hoffentlich ist alles bald zu Ende und wir kommen wieder gesund zurück. Jetzt sind wir auf dem Wege nach der letzten russischen Festung Brest-Litowsk, hoffentlich fallen da nicht so viele, es wird sehr schwer werden, dieselbe zu nehmen..
Gestern abend hatten wir großes Biwak, es war sehr schön, den ersten schönen Abend, den ich im Felde erlebt habe. Die Biwakfeuer brannten zum Sternenhimmel empor, wir sangen und jeder bekam einen Trinkbecher voll Bier. Also einmal etwas ganz neues, welches uns recht selten passiert. Schickt nur keine unnötigen Sachen, vor allen Dingen Essen, das sich lange hält. Wir bekommen so wenig zu essen, daß wir oft auf rohes Obst oder Kartoffeln, die wir uns suchen, angewiesen sind. Aber rohes Obst essen ist bei Arreststrafe verboten, da sehr viele an Ruhr, Cholera und Typhus erkrankt sind, was soll man aber machen vor Hunger. Nun hat es ja gestern abend einmal recht schönes Brot gegeben, aber wie lange das reichen muß, weiß keiner. Für Zigaretten geben manche ihr Stückchen Brot ab, aber eine Zigarette ist ein Juwel hier im Feld. Wir marschieren den ganzen Tag über diese (?) eintönige Landstrecken, kein Haus mehr, alles ist von den Russen abgebrannt. Nichts wie Staub, so daß man kaum die Kameraden noch sehen kann und da wir unter die Alten verteilt sind, so haben wir einen sehr schweren Stand, von Kameradschaft keine Spur, es gibt keiner dem anderen etwas umsonst. Heute morgen hatten wir Feldgottesdienst, es war sehr nett, ein ganzes Bataillon in Reih und Glied und sehr viele Menschen.
L. Mutter. Endlich kann ich nun diesen Brief wieder weiter schreiben, ich habe ihn nun schon 3 Tage geschrieben und nie Zeit damit fertig zu werden. Gestern abend hatten wir einen fürchterlichen Eilmarsch, es war schrecklich, diese Quälerei, um 1/2 11 Uhr abends haben wir bei Regen Zelte aufgeschlagen, ich habe aber die ganze Nacht nicht geschlafen, ich habe so Reißen in den Hüftknochen und krank wird so leicht keiner geschrieben, der muß schon den Kopf unter dem Arm haben.
Nun ist es früh 6 Uhr und wir liegen wieder marschbereit in einem Dorf auf der Straße, es regnet fortwährend, ich glaube, daß wir heute abend oder morgen früh an die große russischen Festung Brest-Litowsk herankommen, eine Unmenge Truppen schieben sich von allen Seiten drauf zu, es wird eine schwere Schlacht werden. Hunger habe ich wieder. Heute früh 3/4 5 Uhr bekommen wir Tee, aber das muß man erst raten, was sein soll, Brot haben wir wieder keins und ich habe mir eben einen Rettich geholt und roh ohne Salz gegessen, da hat es doch Adolf schöner, wenn es auch in Frankreich noch schlimmer ist, aber zu essen haben sie doch wenigstens, aber immer Kohldampf schieben und diese Strapazen, das hält kein Mensch aus, bis man da wieder in die Heimat kommt, ist man auch fertig. Wenn du kannst, liebe Mutter, so schicke mir noch 2 Paar Strümpfe aber dicke, ich habe nur 2 Paar und die andern habe ich schon wegwerfen müssen, so zerrissen waren sie, und Fußlappen kann ich nicht tragen, ich habe nur einen Tag welche getragen und gleich durchgelaufen. Ich will nun schließen, es geht nun weiter auf den Marsch. Lebt alle recht wohl und sei tausendmal gegrüßt und geküßt von
Eurem Karl.