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Gedruckte Dokumentation |
Zwangsarbeit im Volksstaat Hessen 1939-1945(Thomas Lange / Klaus-Dieter Rack)1. Einführung 1.1 "Zwangsarbeiter" im NS-Staat: Begriffe und Menschen "Zwangsarbeiter" ist ein Nachkriegsbegriff für die Männer und Frauen, die aus den von NS-Deutschland besetzten und eroberten Gebieten Europas in das Deutsche Reich gebracht wurden, um hier in Industrie, Landwirtschaft und Privathaushalten zu arbeiten. Ihre Gesamtzahl betrug zwischen 8 und 12 Millionen Menschen. Der - bis heute noch umgangssprachlich verwendete - verharmlosende Pauschalbegriff "Fremdarbeiter" meint Angehörige aller Völker und Nationalitäten, in deren Staaten NS-Deutschland mit der Waffengewalt der Wehrmacht eingefallen war, sie aus ihren Lebenszentren deportiert und in das Zwangssystem der Kriegswirtschaft des "Dritten Reiches" eingebunden hatte. Ein kleiner Teil davon kam in der Frühphase des Krieges aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, aber auch aus Polen wie der Sowjetunion zur Arbeitsaufnahme "freiwillig" ins Reichsgebiet. Die danach in Deutschland erlebten, stark reglementierten wie repressiven Arbeits-, Lebens- und Rechtsverhältnisse der ausländischen Arbeitskräfte führten aber selbst den "Freiwilligen" bald den "Zwangscharakter" ihres kriegsbedingten Arbeitseinsatzes unbeschönigt vor Augen. "Ausländische Zivilarbeiter", "Fremdarbeiter" oder "Fremdvölkische" wurden die im so genannten Reichseinsatz, zum Teil auf drängende Forderung von zahlreichen deutschen Unternehmensführern zur Beschäftigung gebrachten Ausländer im NS-Sprachgebrauch genannt. Die exakte Festlegung ihrer Gesamtzahl ist deshalb so schwierig, weil zu ihnen sowohl noch ausländische Strafgefangene, Häftlinge in Konzentrationslagern als vor allem auch Kriegsgefangene kamen. Letztere (vor allem Franzosen und Italiener) wurden in größerer Zahl zum einen im Kriegsverlauf in den Zivilarbeiterstatus überführt und zum anderen entgegen den Bestimmungen der Genfer Konvention in der gegen ihre Heimatländer gerichteten deutschen Rüstungsmaschinerie beschäftigt, in der sie unter oft gefährlichen, damit auch konventionswidrigen Bedingungen arbeiten mussten. 1.2 "Zwangsarbeiter" im "Volksstaat Hessen" Diese allgemeinen Bemerkungen treffen auch auf die Menschen zu, die im Gebiet des ehemaligen Volksstaats Hessen als Zwangsarbeiter leben und arbeiten mussten, was mit den nachfolgenden Dokumenten aus dem Hessischen Staatsarchiv Darmstadt wie dem Stadtarchiv Darmstadt exemplarisch belegt werden soll. Der Einsatz von KZ-Häftlingen ist in den Beständen des Staatsarchivs Darmstadt kaum dokumentiert. Im Gebiet des bis 1945 formal bestehenden "Volksstaats Hessen" [Karte] waren ca. 130.000 Männer und Frauen zwangsweise in Landwirtschaft und Industrie, bei Staatsbetrieben (wie der Reichsbahn), bei Kommunen und Kirchen tätig. Reichsweit waren 1944 etwa 25% der in der Wirtschaft Beschäftigten Zwangsarbeiter (in der Landwirtschaft 40%, in der Rüstungsindustrie zwischen 30 - 60%). Die genauen Zahlen für Hessen sind nicht feststellbar, einmal, weil einerseits die Unterlagen z. T. fehlen (zur aktenmäßigen Überlieferung: Zwangsarbeitsinventar bei dem Hessischen Staatsarchiv Darmstadt), andererseits eine systematische Erforschung noch kaum begonnen hat. Unterlagen vielfältigster Art über Meldung, Beschäftigung und Kontrolle ausländischer Arbeitskräfte sind gleichwohl bei den Kommunen und dem Hessischen Staatsarchiv Darmstadt (aus der Überlieferung der Landkreise, der Justiz- bzw.- Justizvollzugsbehörden, der Gefangenenanstalten und anderer Behörden wie z.B. den Forstverwaltungen) vorhanden. Aus ihnen ergibt sich, dass auf die Dörfer pro Landkreis zwischen 15. und 25.000 Menschen verteilt waren; in kleineren Städten wie Friedberg und Bad Nauheim waren es jeweils 5.000 Menschen, in Darmstadt etwa 27.000. Dabei spielen auch die Nachkriegszeugnisse eine wichtige Rolle, denn im Rahmen der von der Militärregierung verfügten und von den deutschen Behörden 1946-1950 umgesetzten Ausländer-Suchaktion wurden zahlreiche Listen angefertigt, die den Ausländer-Arbeitseinsatz nach Nationalitäten und Orten gegliedert dokumentieren. Aus den von Berlin (Reichsregierung) wie Darmstadt (Reichsstatthalter in Hessen) ausgehenden Anordnungen und Maßregeln für den Umgang der Deutschen mit den ausländischen Arbeitskräften, lassen sich die Lebensverhältnisse der Zwangsarbeiter rekonstruieren. Sie waren gekennzeichnet durch eine nach rassistischen Kriterien aberwitzig und unmenschlich differenzierte Diskriminierungshierarchie, an deren unterstem Ende die Sonderregelungen für Polen und die sowjetischen "Ostarbeiter/-innen" standen. Gerade an den drastischen Rechtsbeschränkungen für die in Osteuropa rekrutierten Arbeitskräfte, die für das Funktionieren der deutschen Kriegswirtschaft unverzichtbar wurden, und an den drakonischen Strafandrohungen wie den tatsächlich vollzogenen Bestrafungen wird der inhumane, ausbeuterische Zwangscharakter des Reichseinsatzes der Fremden überaus deutlich. Jüdische Zwangsarbeiter sind im Volksstaat Hessen zunächst im Rahmen des sog. "geschlossenen Arbeitseinsatzes" ausgebeutet worden. Ab Ende 1938 wurde eine Arbeitspflicht für alle jüdischen Arbeitslosenunterstützungsempfänger eingeführt, die im Frühjahr 1940 zum Arbeitszwang für alle deutschen Juden ausgedehnt wurde. Auch in Darmstadt ist dieser Übergang von einem zunächst improvisierten Abkommandieren zum Schneeräumen (Winter 1939/40) und zum Autobahnbau zu einem schließlich zwangsweisen Einsatz auch von Frauen - auch in Mainz und Frankfurt - auf Gestapo-Befehl im Herbst 1940 festzustellen. Nach den Deportationen des Jahres 1942/43 aus dem Volksstaat Hessen von Darmstadt aus nach Polen und Theresienstadt, wurden noch in Darmstadt verbleibende jüdische Männer und Frauen aus "Mischehen" mit nichtjüdischen Partnern wiederholt zu Arbeitseinsätzen befohlen. Die Darmstädter Restgruppe von etwa 40 Personen wurde im Laufe des Jahres 1943 systematisch durch - meist unter fadenscheinigen Vorwänden begründete - Verhaftung zunächst ins "Arbeitserziehungslager" Heddernheim verbracht. Viele der durchweg älteren Männer starben dort an den Lebensbedingungen, so der 71jährige Oberlandesgerichtsrat a. D. Dr. Ernst Mayer oder der fast gleichaltrige Regierungsbaumeister Eduard Wolfskehl. Für andere, wie den Ingenieur Rudolf Engelmann oder den Kaufmann Alexander Haas, war Heddernheim nur Zwischenstation auf dem Weg nach Theresienstadt, Buchenwald oder Auschwitz. Von August bis November 1944 wurden 1.700 jüdische Frauen aus Ungarn aus dem Lager Auschwitz für schwerste Bauarbeiten auf dem Gelände des Frankfurter Flughafens eingesetzt, dann in das KZ Ravensbrück und andere Lager transportiert. Nur etwa 330 dieser Frauen überlebten den Krieg. Aus den Akten sind Fragen der Unterbringung der Zwangsarbeiter in Privathaushalten oder in Lagern einschließlich der Planung und Durchführung von Barackenbauten bis hin zur seelsorgerischen Betreuung der von "deutschen Gottesdiensten" ausgeschlossenen Menschen ebenso nachvollziehbar wie auch Formen medizinischer Überwachung. Dabei ergibt sich u.a., dass die NS-Behörden weniger Gesundheitsschäden der im Arbeitseinsatz stehenden Ausländer als vielmehr eine von den Russen ausgehende Seuchengefahr (u.a. Fleckfieber) befürchteten. Folgerichtig entstanden ab 1942 in allen Kreisen "Entlausungsanstalten" für ausländische Arbeitskräfte. Bei den süd- und oberhessischen Amtsgerichten gingen unzählige Strafbefehle gegen ausländische Arbeitskräfte ein (fast ausschließlich Polen und Ukrainer), die wegen der "Massendelikte" des "unerlaubten Verlassens der Aufenthaltsorte" sowie des "Nichttragens des Nationalitätenkennzeichens" ("P" bzw. "OST") anfangs mit geringen Geldbußen belegt wurden, mit zunehmender Kriegsdauer aber gar als "Verbrecher" in KZ-ähnliche "Arbeitserziehungslager" eingewiesen wurden. Sehr scharf wurden sexuelle Beziehungen zu Deutschen kontrolliert, wobei die Ahndung der Verbote rassistisch gestuft war. Für Kriegsgefangene aus westlichen Ländern waren Militärgerichte zuständig, bei "Ostarbeiter" und Polen - gleichgültig ob Kriegsgefangene oder "Zivilarbeiter" die Gestapo. Die deutschen Männer oder (überwiegend) Frauen wurden vor dem Sondergericht Darmstadt wegen "verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen" wie auch "mit Zivilarbeitern" angeklagt und mit Zuchthaus und Ehrverlust bestraft. Die Überlieferung der Gefangenenanstalten (G 30-Bestände) weist zahllose Beispiele inhaftierter Ausländer auf, die überwiegend beim Arbeitseinsatz im Reichsgebiet straffällig wurden (Lebensmitteldiebstahl, Arbeitsverweigerung, usw.). Strafgefangene, so vor allem die der Gefangenenlager Rodgau (Dieburg, Rollwald, Eich, mit ca. 20 Außenlagern, so für polnische Frauen in Groß-Rohrheim sowie bei den Breuer-Werken in Hirzenhain), wurden im übrigen ab 1942 als Arbeitskräfte an bedarfanmeldende Rüstungsfirmen per Vertrag "verliehen", darunter unzählige Ausländer. Die Nachkriegsjustiz beschäftigte sich mit zahlreichen Fällen der Misshandlung bis Ermordung von Kriegsgefangenen, ausländischen Zivilarbeitern und KZ-Häftlingen durch deutsche Zivilisten, Gestapo- und SS-Angehörige. Nur selten aber wurden die Täter nach 1945 zur Rechenschaft gezogen, vielfach mussten die überlieferten Verfahren mangels eindeutiger Tatbeweise eingestellt werden. Eine weitere wichtige Quelle für die tatsächlichen Lebensverhältnisse der Zwangsarbeiter sind Briefe, in denen sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen schildern. Der Hauptzweck dieser Briefe ist allerdings für ihre Verfasser, wenn sie über keine eigenen Nachweise ihres Aufenthalts in Deutschland mehr verfügen bzw. solche aus den Archiven ihrer Heimatländer nicht erbringen können, nun aus deutschen Archiven einen Nachweis für die in Deutschland geleistete Zwangsarbeit zu erhalten. Denn solche Nachweise sind Voraussetzung für die Beantragung von Entschädigungen, die seit dem "Gesetz zur Errichtung einer Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft'" vom 2. August 2000 über Partnerorganisationen in den Herkunftsländern ausgezahlt werden können. Bis zum 12. September 2002 wurden durch die Partnerorganisationen Zahlungen an 968.787 Leistungsberechtigte vorgenommen. Die Praxis dieser Auszahlungen ist allerdings in manchen dieser Länder durch sehr starre bürokratische Hindernisse beeinträchtigt. (Zum weiteren Verfahren s. aktuelle Hinweise auf der Homepage des Staatsarchivs Darmstadt) Aus dem Bewusstsein ihrer historischen Verpflichtung, aber auch weil die direkte Auszahlung die Menschen in den Herkunftsländern oft erst nach langen, umständlichen Wegen und teilweise auch nicht vollständig erreicht, haben einige Firmen und Städte (darunter Darmstadt) sich entschlossen, ehemals bei ihnen beschäftigten Zwangsarbeitern selbst eine Entschädigung auszuzahlen. Die folgenden Dokumente - ein kleiner Querschnitt durch die verschiedenen Arten überlieferten Materials - geben einen Einblick in die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, insbesondere die außerordentliche Diskriminierung, der die zahlenmäßig größte Gruppe, Polen und "Ostarbeiter", ausgesetzt waren. 2. Literatur 2.1 allgemein
2.2 Hessen
2.1 andere Orte
3. Internet-Links Weitere Dokumente zur Zwangsarbeit in Hessen und an anderen Orten:
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Dokumentenliste HStAD: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt StadA: Stadtarchiv Darmstadt
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