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Dokument 1
Bericht des von den Beigeordneten kommissarisch zum Bürgermeister eingesetzten Georg Füßler über die Besetzung Groß-Umstadts am 26. März 1945, verfasst am 1.10.1945 (Protokollbuch der Stadt Groß-Umstadt; StadtA Groß-Umstadt):
Unsere schöne Heimatstadt bot besonders am Samstag, den 24. März durch den Flüchtlingsstrom, Volkssturm, Soldaten usw. das Bild eines Heerlagers. Wilde Gerüchte durchschwirrten die Stadt. Bürgermeister Elßer verließ in dieser Nacht die Stadt und flüchtete. Das Stadthaus war in Anbetracht der kommenden Ereignisse nunmehr von dem Verwaltungspersonal Tag und Nacht besetzt. Stadtobersekretär Füßler hatte von den Beigeordneten Jost und Weber Vollmacht erhalten, die Geschäfte des Bürgermeisters einstweilen zu übernehmen und die Verhandlungen mit den zu erwartenden Amerikanern zu führen. Am Sonntag den 25. März hörte man in westlicher Richtung starke Kampftätigkeit. Wie man später erfuhr, wurde in Dieburg von einigen Hitlerjungen unter Führung eines Majors Widerstand geleistet, der aber schnell gebrochen wurde. Leider kostete diese Wahnsinnstat 26 Dieburger Bürgern das Leben und es wurde durch die Beschießung erheblicher Sach- und Gebäudeschaden angerichtet. Die Amerikaner hatten an diesem Tage ihre Panzer und Truppen über Darmstadt, Roßdorf, Reinheim, Habitzheim vorgeschoben und alles wartete hier auf den Einmarsch. Doch es kam zunächst anders. Umstadt wurde in die "Zange" genommen, ein Teil der Panzer stieß südlich vor und ein Teil zog nördlich am Forsteck vorbei über Richen, Klein-Umstadt zu Main gegen Aschaffenburg. Morgens gegen 10 / 11 Uhr sah man von hier aus deutlich die fahrenden Panzerkolonnen welche sich dem Forst entlang auf der Straße Semd - Richen bewegten. Der Sonntag verging dann voller Unruhe und Besorgnis. Laufend ging noch der Flüchtlingsstrom durch Umstadt, an diesem Morgen verließen die letzten Gestapobeamten in wilder, überstürzter Flucht ihre Dienststelle, welche sie vor etwa ¼ Jahr im alten Rathaus eingerichtet hatten. Leider versuchte nachmittags die sich ansammelnde Menschenmenge dieses Gestapolager zu plündern, was nur mit Mühe und Not teilweise verhindert werden konnte. Abends, um 19 Uhr meldeten sich im Stadthaus 4 Polizeibeamte der Darmstädter Polizeiverwaltung, Polizeioberinspektor Laist, Polizeiobersekretär Vogel, Polizeiobersekretär Mees und Pol. Verwaltungsangestellter Höhl, welche Marschbefehl nach Klingenberg a.M. bekommen hatten, aber infolge des Vordringens der Amerikaner nicht mehr durchkamen. Diese vier Beamten wurden wegen Fehlens örtlicher Polizeikräfte vorläufig hier als Ordnungspolizei eingesetzt und im Stadthaus als Tag- und Nachtwache stationiert. Sie leisteten der Stadt in der Übergangszeit wertvolle Dienste.
Auch am Montag, den 26. März 1945 ergab sich zunächst keine Änderung der Gesamtlage. Die amerikanischen Panzerspitzen waren nun schon weit über Groß-Umstadt hinaus vorgedrungen, außer den verwundeten Soldaten in den Lazaretten waren hier keine kampffähigen deutschen Truppen mehr vorhanden, so dass es Gewissheit war, dass es zu unnötigen, zwecklosen Kampfhandlungen in und um Groß-Umstadt nicht mehr kommen konnte. Die Bevölkerung atmete auf. Allerdings wurde noch ungefähr 10 Tage lang um das nahe Aschaffenburg gekämpft, auch im hinteren Odenwald gab es noch tagelang Einzelkämpfe mit versprengten Einheiten. Von Dr. Wallau, dem Chefarzt des hiesigen Reservelazaretts war bereits Vorsorge getroffen derart, dass er von seinem Personal an die Wegkreuzung Forsteck und Richerstraße Dolmetscher abstellte, welche amerikanische Parlamentäre empfangen sollten. Endlich, nachmittags gegen 5 Uhr kam mit weißer Flagge ein Offizier mit Fahrer in einem amerikanischen Panzerspähwagen in Groß-Umstadt an. Dieser amerikanische Offizier W. Richard Johnson begab sich mit Dr. Wallau in das Stadthaus, wo ihn Stadtobersekretär Füßler im Namen der Stadt empfing. Die kurzen Verhandlungen endigten damit, dass die Stadt Groß-Umstadt widerstandslos übergeben wurde.
Amerikanischer GI in Groß-Umstadt, April 1945 (Foto StA Darmstadt).
Obersekretär Füßler musste daraufhin in dem Panzerspähwagen mit Platz nehmen, worauf verschiedene Gebäude, in welchen Waffen und Ausrüstungsgegenstände lagerten, besucht wurden. Kapt. Johnson gab noch den Auftrag, durch Bekanntmachung die Ablieferung sämtlicher Waffen durch die Zivilbevölkerung zu veranlassen und machte Obersekr. Füßler für vorkommende schwerwiegende Zwischenfälle persönlich haftbar. der Auftrag zur Waffenablieferung wurde sofort durch Ausschellen befolgt und die ganze Nacht hindurch im Stadthaus Waffen, Munition usw. entgegengenommen.
Am Mittwoch, den 28. März 1945 erfolgte dann die Besetzung der Stadt durch amerikanische Truppen. Es mussten hierdurch ganze Straßenzüge und viele Einzelhäuser innerhalb kurzer Frist von der Zivilbevölkerung geräumt werden.
Passkontrolle durch amerikanische Soldaten in Groß-Umstadt, 1945 (Foto StadtA Groß-Umstadt).
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